Ratgeber: Laufstil - wie Fuß abrollen ? |
Copyright: Herbert Steffny
Was ist der "richtige" Laufstil beim Fuß abrollen?!
Frage
von Hans M.: In verschiedenen Büchern, Zeitschriften und
auch Diskussionsrunden und aktuell im Fernsehen wird
immer wieder über den richtigen Laufstil diskutiert, so
dass ich ganz irritiert bin. Seit Jahren rolle ich über
den ganzen Fuß ab. Einige behaupten man sollte besser
nur auf dem Vorfuß laufen. Was ist denn nun ihrer
Meinung nach der richtige Laufstil ? Antwort von Herbert Steffny: Ich möchte
das Thema Laufstil an dieser Stelle ausführlicher
darlegen. Tatsächlich wird das Thema Laufstil bzw. das
"richtige" Abrollverhalten seit einiger Zeit
recht kontrovers diskutiert. Manchmal nimmt die
Diskussion fast "glaubenskriegartige" Züge an,
worüber man sich nur wundern kann. Vielleicht gehen auch
manchen einfach die Themen aus und man versucht eine neue
thematische Nische zu finden.... Ich glaube kein
Urmensch und auch kein Kenianer macht sich über seinen
Laufstil ernsthaft Gedanken. Wenn Sie abnehmen
oder fit werden wollen, interessiert es weder Ihr Herz,
noch Ihr Fettpolster, ob Sie Walken, Joggen, über
Vorfuß oder Ferse laufen. Provokant formuliert: Je
unökomomischer der Laufstil ist, desto mehr Kalorien
verbraucht man. Effizient oder "schön" ist das
dann aber nicht. Wie so oft, gibt es ganz einfache
"Weisheiten" meistens dann, wenn man nicht
genau hinschaut und differenziert. Also differenzieren
wir mal genauer: Den "richtigen" Laufstil gibt es nicht Den
"richtigen" Laufstil gibt es eigentlich gar
nicht! Es kommt eben darauf an, was man vor
hat zu laufen, welche Strecke, Geländeprofil und
Untergrund und wie das eigene "Fahrgestell"
gebaut ist. Eine der ersten Fragen müßte also zunächst
lauten: "Haben Sie irgenwo Schmerzen, oder was für
einen Grund haben Sie den Laufstil umstellen zu
wollen?" Wer beispielsweise Beschwerden an den
Achillessehnen hat (und die nehmen beim Vorfußlauf zu),
sollte sofort den Ballenlauf sein lassen. Dieses
Aha-Erlebnis haben nicht wenige vorfußlaufende
Teilnehmer in meinen Seminaren. Nach Umstellung auf Fersenlauf
sind diese Beschwerden schlagartig vorbei. Wer hätte es
gedacht... Die Varianten bei der Fußarbeit Der Ballenlauf oder Vorfußlauf wirkt optisch leichter und eleganter. Man versucht "wie der Hirsch durch den Wald zu schweben". So oder ähnlich reisserische Formulierungen ("Fliegen wie ein Adler") werden übrigens auch dazu benutzt diesen Stil einseitig zu propagieren. Landepunkt und Abdruckpunkt sind derselbe. Der Vorfuß, Achillessehnen und Waden werden also zweimal belastet. Man gewinnt am Boden keinen Raum wie beim Rückfußlauf und muss dafür folglich etwas weiter oder höher springen. Der Vorfußlauf ist also nicht der bessere Laufstil, sondern nur eine Variante, je nach Tempo und Gelände und optimal z.B. für Sprint oder bergan (siehe auch Tabelle unten). Um den Ballenlauf für schnelle kurze Wettkämpfe zu lernen, bedarf es allerdings einer langen Vorbereitung, denn ein schnelles Umstellen auf den Vorfußlauf überlastet zunächst die Waden und Achillessehnen. Wer also Einsteiger ist, möglicherweise sogar noch übergewichtig, sollte lieber über den ganzen Fuß abrollen. Beim ganz
normalen lockeren Dauerlauf rollt man über den ganzen
Fuß ab, v.a. bei längeren Strecken. Bei diesem Fersen-
oder Rückfußlauf kann es allerdings beim
Abrollen zu einer Kippbewegung nach innen kommen
(Knickfuß nach innen oder "Überpronation"),
die die Gelenke ebenfalls stark belasten kann. Siehe
nachfolgende Abbildung (aus Herbert
Steffny: "Walking - Nordic Walking"). Diese läßt sich allerdings,
soweit vorhanden, meist durch einen guten
"Anti-Überpronations-Schuh" (im Fachgeschäft
beraten lassen!) ausgleichen. Dafür muß man also nicht
gewaltsam auf dem Vorfußlauf wechseln! Das würde ich
nur in extremen Fällen mit einer vorsichtigen Umstellung
erwägen. Beim Rückfußlauf wird oft behauptet, er ginge
auf die Knochen und Gelenke und dabei sieht man manchmal
Zeichnungen wie jemand mit gestrecktem Bein landet. So
läuft aber kein normaler Fersenläufer, bei der Landung
ist das Knie immer leicht gebeugt. In der Tat belastet
der Rückfußlauf den passiven Bewegungsapparat etwas
mehr, aber das muss kein Nachteil sein, denn neuere
orthopädische Befunde zeigen, dass das den
Knochenapparat sogar stärkt! |
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Es wird
mitunter behauptet, der Ballenlauf wäre der natürliche
Laufstil, weil man angeblich barfuß von
Natur aus auf dem Vorfuß laufen würde. Hhhhmmm?! Mag
sein, dass man am Strand zunächst mal die ungewohnte
Fußfreiheit genießt und auch mal auf dem Vorfuß
tippelt. Aber bei der Behauptung hat manch einer
scheinbar nicht so genau hingeschaut und einige
Biomechaniker beschäftigen sich scheinbar länger mit
der Auswertung von Ergebnissen aus computergesteuerten
Druckmessplatten als den Menschen selbst mal auf die
Füße zu schauen. Eigene Studien belegen (Filmanalysen
kenianischer "Wunder-Läufer" im Hochland von
Eldoret/Nandi Hills, von Buschmännern der Kalahari und
barfußlaufenden Kindern am Strand), dass immer, wenn es
gilt barfuß eine längere Strecke zurückzulegen oder
langsam zu laufen automatisch über den ganzen Fuß
abgerollt wird. Gehen wir mal davon aus, dass kleine
Kinder und Afrikaner keine Lehrbücher über Biomechanik
gelesen haben, also noch wirklich den natürlichen
Laufstil beherrschen. Die Lösung ist für mich
verblüffend einfach: der natürliche Laufstil des
Menschen ist es nämlich alle drei Varianten
zu beherrschen! Moderates Barfußlaufen auf
einem Rasen oder am Strand auf dem Ballen, aber auch
über die Ferse ist selbstverständlich ein Super-Kräftigungstraining
für die verkümmerte Fußmuskulatur von dauerbeschuhten
Wohlstandsbürgern, aber keine Lösung für den Marathon!
Wer beim Marathon versucht auf dem Ballen zu tänzeln
macht ebenso einen Fehler wie jemand der versucht über
die Fersen zu sprinten! Haile schneller nach Umstellung auf Rückfußlauf In der Weltspitze
läuft beim Marathon so gut wie niemand auf dem Ballen!
Der Äthiopier Haile Gebrselassie wurde nach 2005 im
Marathon erst richtig gut, als er sich vom
vorfußlaufenden Bahnläufer auf den viel ökonomischeren
Mittel- bis leichten Rückfußlauf umstellte. Allerdings
mußte er erst Lehrgeld bei einer
Achillessehnen-Operation zahlen. Dadurch ist sein
Laufstil effizienter geworden. 2005, 2006, 2007 und 2008
war er der Weltjahresschnellste und ist seit 2007 der
Weltrekordinhaber (aktuell 2:03:59 Stunden in Berlin
2008). Die Marathonweltrekordlerin Paula Radcliffe
(2:15:25 Stunden, London 2003) ist eine der wenigen
Mittelfußläufer(innen) beim Marathon. Beim Sprint,
Mittelstreckenlauf und gut trainiert bis hin zum 10.000
Meterlauf hingegen ist der Vorfuß-(Ballen-)lauf bei
Spitzenläufern normal. Wenn es also darum geht,
ökonomisch Langstrecken zu laufen, ist der Fersenlauf zu
empfehlen, wenn aber viel Kraft entfaltet werden muß,
natürlich der Ballenlauf. Beim Zeitfahren legt der
Radrennfahrer eine hohe Übersetzung ("das dicke
Blatt") auf, bei einer langen Alpenetappe hingegen
tritt er eine sehr hohe Frequenz und schnurrt wie eine
Nähmaschine. Der Mittelfußlauf steht
gewissermaßen dazwischen und bildet einen guten
Kompromiss. Die Lösung: variabel laufen! Ich selbst
kann alle Stilarten und versuche (wie auf den Fotos
übrigens auch zu sehen ist) und empfehle
fortgeschritteneren Läufern diese möglichst
abzuwechseln und für jeden
Verwendungszweck den richtigen Stil einzusetzen. Auf
einer hügligen Laufstrecke (was ich im Training
einzubauen nur wärmstens empfehlen kann) wechselt man
automatisch zwischen den Stilarten ab. Bergan läuft man
auf dem Vorfuß und runter wird wieder über den ganzen
Fuß abgerollt. Das bietet nicht nur wirksame
Trainingsreize, sondern verteilt die orthopädische
Belastung optimal und birgt selbstverständlich ein
geringeres Verletzungsrisiko als nur dogmatisch eine
Stilart zu laufen. Die nachfolgende Tabelle gibt einen
Überblick und Zusammenfassung über die Stilarten beim
Abrollen. Sie stammt aus meinem Standardlehrbuch "Das
großen Laufbuch" |
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