Hamstring-,
Oberschenkelprobleme im Marathon Frage von
Herrn Stefan L.:
Hallo Herbert
Steffny,
ich habe ein
paar Fragen, die vielleicht auch für andere relevant sind. Bei
zwei meiner drei Marathons (Zeit 3:30 bis 4:00 Stunden) hatte ich
nach 32 km Probleme mit dem hinteren Oberschenkelmuskel
(hamstring). Zuletzt musste ich beim Training mal
„austreten“ und dabei notgedrungen „dehnen“.
- Gibt es Übungen (außer der
in Ihrem Buch
genannten), um Probleme zu vermeiden?
- Wäre es sinnvoll, nach 30 km
kurz zu dehnen oder hätte das eher einen gegenteiligen
Effekt, da man aus dem Rhythmus kommt?
- Was kann man während des
Wettkampfes tun, um das Kribbeln im Muskel nach 30 km
anzugehen.? Knie anwinkeln o.ä., andere Schrittlänge?
Vielen Dank.
Gruß Stefan L.
Antwort von Herbert
Steffny:
Hallo Herr L.,
Oberschenkel- und "Hamstring" Krämpfe (rückwärtige
Muskelstränge) können viele Ursachen haben. Die auf Sie
zufreffenden Gründe kann ich auch aus der Ferne natürlich nicht
beurteilen. Ich kann und möchte hier im Ratgeber, in meinen Seminaren und Büchern immer nur Hilfe zur Selbsthilfe geben. Also deshalb
erneut ein paar allgemeine Gedanken zu der Problematik
(weitere Links dazu ganz unten):
Die "Hamstring" (ischiocrurale Muskelgruppe)
Probleme können sehr komplexe Ursachen
haben: Sie haben nicht nur mit der richtig ausgeführten
Gymnastik, wie Dehnen der Oberschenkelrückseite zu tun (z.B.
Bein nicht im Knie durchdrücken, wie
das viele tun, man dehnt dann nicht den "Hamstring",
sondern die Kniekehle!), sondern auch möglicherweise mit dem
Rücken, Pseudoischias (S.262ff. im Großen Laufbuch), taktisch richtige Renngestaltung (also nicht zu
schnell loslaufen), Ernährung und Trinkverhalten, genügend
Ausruhen vor dem Marathon, Physiotherapie, zu hartes Training,
regenerative Laufeinheiten, falscher Laufstil, harter Untergrund,
heißes Wetter usw., aber letztlich immer auch mit der
Leistungsgrenze zu tun.
Marathon v.a. auf Bestzeit ist eben ein Grenzgang.
Wenn man Bestzeiten laufen will, kann es immer sein, dass
irgendwo eben ein Schwachstelle ist und irgendetwas nicht mehr
mitspielt. Diese langfristig im Vorfeld, also schon im
Trainingsalltag in den Monaten vorher, zu erkennen und
rechtzeitig auszubauen, macht natürlich Sinn. Letztlich ist ein
guter Trainingszustand der Garant für eine ordentliche Leistung.
Wer einseitig nur läuft und alles andere rundherum nicht
optimiert, wird nicht ganz so schnell werden und eher Probleme
bekommen. Wenn jemand beispielsweise lange Zeit das Training hat
schleifen lassen und dann in die letzten vier Wochen vor dem
Marathon alles reinpackt, wundert es mich nicht, wenn der Körper
im Rennen rebelliert. Auch mit ein bisschen Dehnen in der letzten
Woche vor dem Rennen anzufangen ist natürlich zuwenig.
Testen Sie doch mal Ihre Beweglichkeit und Kraft
(im Großen
Laufbuch ab Seite 174). Hier kann
ich also nicht nur empfehlen rechtzeitig und präventiv zu dehnen
und Kräftigungsgymnastik für die Rumpfmuskulatur grundsätzlich
im Training zu integrieren, sondern auch viele andere
Maßnahmen zu den genannten Ursachen schon frühzeitig
im Trainingsalltag einzuplanen. Dazu gehören also auch
vollwertige Ernährung, genügend ruhiges Training der
Grundlagenausdauer (auch Jogging, statt zuviel Gebolze!),
physiotherapeutische Maßnahmen wie Massage, Badewanne, Sauna,
Crosstraining, ausreichend Regeneration und Schlaf, eine
realistische Zeit angehen und eine gleichmäßige Renntaktik,
gute Funktionsbekleidung, richtiges Ess- und Trinkverhalten vor
und während des Wettkampfs und die richtigen Getränke usw..
Für einen Marathon optimal zu laufen reicht es eben nicht nur
aus einen Trainingsplan zu haben, sondern das ganze Drumherum
spielt auch eine große Rolle. Sonst wäre mein "Großes
Laufbuch" ein bisschen dünner
geworden... ;-))
Wenn man im Rennen einen Krampf bekommt, hilft
vielleicht nur noch langsamer laufen, leichtes Ausschütteln des
Beins und auf jeden Fall Dehnen und auch Trinken, obwohl es dafür dann meist schon zu spät war. Es
bleibt aber dabei: Prävention und Ursachen beseitigen
kommt vor Symptome kurieren. Wird man dann durch ein
gescheites Training schneller, kann es aber sein, dass man erneut
Muskelprobleme bekommt, nun eben bei einer höheren
Geschwindigkeit. Leistungsgrenze bleibt Leistungsgrenze! ;-))
Vielleicht waren ein paar Anregungen für Sie dabei. Wenn es zu
schlimm ist, gehen Sie doch mal zu einem versierten
Krankengymnasten, Physiotherapeuten oder selbst sporttreibenden,
besser laufenden Orthopäden.
Viel Erfolg, Herbert Steffny |