"Soft-Doping" - Kreatin
und Nahrungsergänzungsmittel für Läufer?
Frage
von Herrn M.R.:
Hallo Herr
Steffny,
ich bin
Biochemiker und weiss daher, das Kreatin
nicht nur in den Myofibrillen schnell ATP regeneriert,
sondern das Kreatin auch beim ATP-Transport aus den
Mitochondrien als Transporter eine Rolle spielt. Daher
nun meine Frage: haben Sie Erfahrungen, ob eine
Kreatineinnahme auch die Langstreckenläufer
unterstützt? Normalerweise sagt man einen Nutzen ja nur
bei Kurzstrecken nach. Es stehen ja Argumente entgegen,
weil das Körpergewicht etwas ansteigt.
Mit freundlichen Grüssen
Antwort von
Herbert Steffny:
Hallo Herr R.,
solche Fragen erhalte ich öfters. Ich antworte Ihnen
darauf nicht nur als Trainer und Athlet, sondern auch als
Naturwissenschaftler (Diplom-Biologe). Ich möchte auch
nicht speziell auf das für Ausdauersportler
ohnehin zweifelhafte Kreatin eingehen, sondern
die Frage ganz allgemein beantworten. Bitte beziehen Sie
meine Äusserungen nicht auf sich selbst, sondern mehr
als ein allgemeines Statement zur
Nahrungsergänzung.
Ich selbst lehne die Einnahme von solchen
"Nahrungsergänzungsmitteln" eigentlich ab.
Kreatin steht zwar nicht auf der Dopingliste, gilt
allerdings für Kritiker schon als eine Art
Vorstufe zum Doping. Aus meiner Sicht ist eine vollwertige
Ernährung ist viel vollständiger und deckt bei
Ausdauersportlern (selbst bei Vitaminen, Mineralien usw.)
eigentlich alles und noch mehr ab, wovon wir heute noch
gar nichts wissen. Ähnlich wie beim früher viel
beworbenen Carnitin (darum ist es
mittlerweile sehr ruhig geworden) gibt es bei einer guten
Ernährung für Kreatin für Ausdauersportler eigentlich
gar keinen Engpass. Mutter Natur hat sich mit einer
vollwertigen Ernährungsweise nicht jahrmillionenlang
geirrt. Es kann nicht sein, dass wir natürlichen
Lebensmitteln misstrauen und stattdessen zur
Gewissensberuhigung unvollständiges Kunstfutter
schlucken. Mit dieser Einstellung und Ernährung
bin ich selbst bis in die Weltklasse vorgestoßen.
Gerade Sie als Biochemiker dürften wissen, dass
ein Apfel mehr als die Summe der uns bisher bekannten
Bestandteile ist. Wir wissen doch heute noch
lange nicht alles. Als Naturwissenschaftler weiß ich,
dass ein scheinbar gelöstes Problem zehn neue Fragen
aufwirft! Viele Interaktionen zwischen einzelnen auch
noch unbekannten Inhaltsstoffen, der Bereich der
Sekundären Pflanzenstoffe usw. sind noch weitgehendst
Neuland. Da esse ich lieber mal Brokkoli oder eben den
Apfel. Genauso ist es mit den unbekannten
gesundheitlichen Nebenwirkungen. Die auf den Geldbeutel
sind da viel eindeutiger!
Die Pharmaindustrie versucht mit millionenstarkem
Werbeaufwand und Lobbyismus den potentiellen Kunden ein
Geschäft mit der Angst einzureden irgendeinen
Mangel zu haben ("ausgelaugte Äcker",
"rumliegendes Gemüse, in dem nichts mehr drin
ist", "Angriffe von Radikalen im Körper"
usw.). Da wundere ich mich, wieso ich nach
jahrzehntelangem Leistungssport nicht wie ein Sieb
durchlöchert bin? Komischerweise habe ich es
mit Müsli, Gemüse, einem Glas Rotwein und Co. auch noch
als 50jähriger zu Deutschen Altersklassenmeistertiteln
und einem deutschen 10km Rekord geschafft!
Die Pillenproduzenten verdienen sich eine goldene Nase an
Mittelchen, die billigst hergestellt werden und teuer mit
geschicktem Marketing verkauft werden. Die Wirksamkeit
muss bei Nahrungsergänzungsmittel nicht einmal
nachgewiesen werden. Es genügt eine
redaktionell gestylte Anzeige in Laufmagazinen mit
pseudowissenschaftlichen Behauptungen und
Allgemeinplätzen. Die Deutsche Gesellschaft für
Ernährung oder die Verbraucherzentralen haben für ihre
viel vernünftigeren Botschaften leider nicht solche
Werbeetats zur Verfügung.
Leistungsläufer schlucken oft unreflektiert, wegen eines
kleinen Werbevertrags oder mangels besseren Wissens jeden
Unfug, den irgendeiner anpreist mit Konsequenzen bis hin
zum (auch durch Verunreinigungen versehentlichen) Doping.
Man verlagert das Thema sportliche Leistung von
Training und Motivation mehr und mehr auf den
Nebenkriegsschauplatz "Substitution".
Wie konnte ein Bauer früher eigentlich sieben Tage in
der Woche "nur" mit Vollkornbrei, Kartoffeln,
Kohlgemüse usw. hart körperlich auf dem Acker arbeiten?
Auch Kenianer essen in den Nandi-Hills intakte
Bauernkost wie "Ugali mit Mala" Mais
oder Hirse (Vollkorngetreide) mit Sauermilch, Gemüse,
Kartoffeln und Hülsenfrüchten. Jeder Freizeitläufer,
der bei uns dreimal die Woche joggt, meint dagegen eine
"Fitness-Apotheke" zuhause haben zu müssen.
Auch Placebo-Effekte usw. mögen bei
denen, die es brauchen (Soft-Doping) und daran glauben
natürlich auch etwas bewirken. Mir ist es als Athlet
immer wichtiger gewesen fleißig Kilometer zu sammeln und
an der Leistungsgrenze am Kopf zu arbeiten, statt mich
auf diesen "faustschen Pakt" mit dem Teufel
Doping und seinen Vorstufen einzulassen. Da ist das
größte Reservoir! Natürlich bin ich mir bewußt, dass
mit Erythropoetin (EPO) oder ähnlichem mittlerweile ein
wirklicher Leistungssprung zu machen ist. Das ist
natürlich Betrug, aber auf das echte Doping soll hier
nicht weiter eingegangen werden.
Eine umfassende kritische Auseinandersetzung mit
der Nahrungsmittelergänzung, den Argumenten der
Pillenverkäufer, was ich mit einer vollwertigen
Ernährung meine und wie das für Ausdauersportler und
Läufer praktisch aussieht, finden Sie in meinen
Büchern: "Das große Laufbuch" und "Perfektes Lauftraining -
Das Ernährungsprogramm".
Keep on running with natural power (ohne
Helferlein) ;-))
Herbert Steffny
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