J.
M. S. aus London schrieb:
Sehr geehrter Herr Steffny,
Vor Kurzem habe ich ihr "Großes
Laufbuch"
geschenkt bekommen und mit Begeisterung gelesen. Tolle
Leistung und viele gute Tipps! Durch einen gluecklichen
Zufall habe ich in England, wo ich arbeite, jemanden
kennengelernt, der mir noch einen Startplatz fuer den
London-Marathon 2006 in vier Monaten vermitteln kann.
Jetzt spiele ich mit dem Gedanken daran teilzunehmen.
Ich habe einige Fragen als Ergänzung zu ihrem Buch und
würde mich über eine kurze Antwort sehr freuen:
- 1) Ich bin eigentlich
mehr Schwimmer und Fitnessstudio-Mensch
als Läufer. Während ich ohne Probleme 3x pro
Woche 4km in einer guten Stunde schwimmen kann,
habe ich in den letzten Jahren das Laufen
vernachlässigt und bin nur einige Male ca. 1
Stunde gelaufen. Sie haben auch auf ihrer
Homepage erwähnt, dass Schwimmen nicht Laufen
ersetzen kann, weil es andere Muskelgruppen
beansprucht. Allerdings frage ich mich,ob es in
puncto Kräftigung von "Sehnen und
Bändern" eine ausreichende Vorbereitung
darstellt, um mit einem gezielten 3-monatigen
Marathontraining einen Marathon im April zu
meistern. Ich weiss, dass sie für Untrainierte
oder Übergewichtige eine Zeit von 1,5 Jahren
vorschlagen. Wie sieht es bei sportlichen
Quereinsteigern aus?
- 2) Gibt es
Untersuchungen zu Folgeschäden
(Knie) nach einem Marathon bei sogenannten
"Freizeit-" oder
"Fun-Läufern". Wie groß ist das
Risiko sich einen bleibenden Knorpel- oder
Meniskusschaden bei einem Marathon zu holen?
- 3) Kann man neben
einem Marathontraining noch im Fitnessstudio den Rumpf/Arme
wie gewohnt trainieren oder leidet das
Laufen darunter? Wie sieht es mit 2-3 maligen Saunagängen
aus?
- 4) Sie haben
erwähnt, dass man für einen Citymarathon
verstärkt auf Asphalt trainieren
sollte. Können Sie konkretere Tipps geben?
- 5) Wie ist ihre
Einstellung zum "bewussten
Laufen", also bei jedem Schritt
bewusst aufzusetzen und genau die Haltung,Atmung
usw. zu überwachen im Vergleich zu
"Laufen-lassen mit ipod" und der
Körper wird es schon wissen?
- 6) Wie ist ihre
Einstellung zu isoliertem "Traubenzucker"
(Dextroenergen usw.) während des Laufens im
Vergleich zu Engergydrinks/-snacks?
- 7) Was halten Sie
davon im Marathon einige Male anzuhalten
und die Muskeln zu dehnen, um die Muskeln zu
entspannen und Krämpfe vorzubeugen?
Vielen Dank,
dass Sie sich die Zeit genommne haben bis hier zu lesen.
Wenn Sie für die eine oder andere Frage Zeit finden,
würde ich mich über eine Antwort sehr freuen.
Ein frohes Fest wünscht Ihnen
J.M.S.
Antwort
von Herbert Steffny:
Die Bilder
bei den Marathon TV-Übertragungen haben einen großen
Aufforderungscharakter. Zu leicht läßt man sich
verführen vorschnell auf das Marathonabenteuer
einzugehen. Respekt vor der Marathondistanz und
"Gut Ding braucht Weile" sind viel
bessere Ratgeber, als sich spontan zum Start zu
entschließen, nur weil man zufällig an eine Startnummer
gekommen ist. Ich habe Sie nie laufen sehen und auch
keine Ahnung, was Sie läuferisch bereits können, ob Sie
irgendwelche Risikofaktoren internistischer oder
orthopädischer Art haben oder vielleicht übergewichtig
sind. Sie sollten sich auf jeden Fall mal bei einem
sporterfahrenen Arzt beraten lassen.
- zu 1.) Natürlich ist
Schwimmen besser als nichts tun, d.h. Sie haben
mehr Muskulatur usw. als Untrainierte. Aber
Schwimmen ist nicht Laufen! Laufen
bedeutet letztlich im Gegensatz zum Schwimmen
sein Körpergewicht hochzuwuchten und auf dem
Boden wieder aufzufangen und das ca. 35000
Schritte im Marathon auf Asphalt! Sie müssen
also unbedingt vermehrt laufen und dabei ganz
vorsichtig Ihr Pensum steigern.
- zu 2.) das ist
individuell sehr verschieden. Ein orthopädisches
Risiko besteht immer, aber es muss
überhaupt keine Schäden geben, je mehr Zeit man
sich zur Vorbereitung läßt. Fehlstellungen,
falsche Schuhe, Übergewicht, zu schnelles
Lauftempo und zu schnelle Belastungssteigerungen
im Training sind einige wichtige
Verletzungsrisiken.
- zu 3.) Krafttraining
ist ergänzend bestimmt nicht verkehrt, wenn Sie
das Laufen nicht vernachlässigen. Krafttraining
kann aber kein Lauftraining ersetzen.
Sie sollten sich aber nicht dicke Muskelpakete an
den Oberarmen zulegen. Wie im Buch geschildert
ist v.a die Rumpfmuskulatur wichtig. Sauna ist
gut zur Regeneration, aber nicht gut unmittelbar
vor Tempoeinheiten.
- zu 4.) ...na ja, Sie
streuen neben Wald- und Parkwegen einfach
vermehrt Asphaltabschnitte in Ihre Trainingsstrecken
ein, je näher Sie zum Marathon kommen. Das kann
dann bis 50 Prozent des Trainings ausmachen.
- zu 5.) ... da müßte
ich erst mal wissen, was Sie damit genau meinen.
Eine Laufstilanalyse durch einen Fachmann
ist sicherlich nicht schlecht, um unökonomische
Bewegungsabläufe, Fehlstellungen und muskuläre
Defizite aufzudecken. Danach wird man gymnastisch
arbeiten müssen, bestimmt Übungen (Laufschule,
siehe Großes Laufbuch) durchführen und dann
tatsächlich versuchen das beim Laufen bewusst
einzuhalten. Allerdings werden sich die
neuen Bewegungsmuster dann einschleifen und
wieder unbewußt werden, also
automatisch ablaufen. Kein Schlagzeuger denkt
darüber nach auf welche Trommel er gerade in
welchem Rhythmus haut. Das fließt nach einer
mühsamen Übungsphase (neue neuromuskulöäre
Verschaltungen) dann von selbst.
- zu 6.) Traubenzucker
im Alltag (beim Sitzen im Büro) ist für den
Blutzuckerspiegel nicht so gut. Im Wettkampf wird
Glukose (=Traubenzucker) verbraucht, da ist es
kein Problem, aber Traubenzucker ist
alleine noch kein vollständiges
Wettkampfgetränk. Da fehlen noch andere
Zutaten wie Kochsalz und Sie dürfen es nicht
überdosieren. Im Großen Laufbuch habe ich eine
ausführliche Rezeptur für
einen selbst gemixten Drink gegeben (siehe
S.348ff., Rezept auf Seite 350 im Kasten).
- zu 7.) ... optimal
sind solche Gehpausen im Marathon"lauf"
natürlich nicht. An Wasserstationen können Sie
notwendig werden, um die Getränkeaufnahme nicht
zu verpassen. Immer wieder anlaufen fällt
besonders in der Endphase recht schwer. Je
schlechter der Trainingszustand, desto mehr wird
man allerdings solche Pausen brauchen. Dagegen
hilft nur fleißig vorher im Training Kilometer
sammeln.
Bei Ihrer
sehr kurzen Vorbereitung (nur noch knapp 4 Monate!), kann
es natürlich zum Einbruch oder auch zu Zwangsgehpausen
im Marathon kommen. Das Risiko sich schon auf dem
Weg zum Marathon zu verletzen ist groß! Wieviel
Lauftalent Sie haben, kann ich von außen nicht
beurteilen. Wenn Sie es in der Kürze noch schaffen
wollen, dann versuchen Sie so langsam wie
möglich, aber möglichst fleißig (öfters und ein
bischen länger) zu joggen. Sollte der Körper
immer wieder rebellieren (Übertraining, Verletzung)
verschieben Sie den Marathon um ein Jahr, was natürlich
ohnehin besser wäre. Natürlich können Sie den Marathon
auch mit Gehpausen wandern oder sich durchquälen, manche
"Walking Marathonpläne kojketieren bereits mit
diesem Trend aus Amerika, wo das Zeil teilweise 12
Stunden lang offen ist. Natürlich bekommt man dann eine
Medaille und ein T-Shirt. Aber ich bezweifle, dass das
das richtige Marathonlauf-feeling gibt. Schließlich ist
es ein Marathon"Lauf"!
Volkswanderungen gab es schon vor derm Citymarathon
Laufboom.
Viel Glück
bei Ihrem Laufabenteuer! Sie werden mich hoffentlich
verstehen, dass ich ein wenig warnen muss! Vielleicht
haben Sie ja robustere Knochen und schon ein wenig mehr
Lauferfahrung als ein totaler Einsteiger. Gehen
Sie auf jeden Fall mit Ihrem Körper vernünftig um, und
hören auf seine Zeichen. Brechen Sie angesichts
des spontanen Beschlusses also nichts übers Knie!
Wünsche ich
Ihnen auch ein frohes Fest und essen Sie auf der Insel
nicht zuviel fette "Fish'n Chips"... ;))
Herbert Steffny
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