Ratgeber: Von Null auf 42 in einem Jahr?

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Von Null auf 42 in einem Jahr?

Frage von Herrn R. F..:

Lieber Herr Steffny, ich habe im Fernsehen den ersten und zweiten Teil der Dokumentation "Von Null auf 42" gesehen. Ich habe zur Zeit 106 Kilogramm auf der Waage, denke aber, dass hier ein wenig zu sehr gepuscht wird! Ist das bei meinem Gewicht sinnvoll so früh einen Marathon zu laufen? Kann man nach 6 Monaten auch schon einen Halbmarathon laufen, wäre das ein Ziel statt Marathon? Eine Einschätzung von Ihnen würde mich interessieren. Mit besten Grüßen.

Antwort von Herbert Steffny:

Hallo Herr F.,

prinzipiell ist es schön, dass das Thema Laufen im Vergleich zu früher mittlerweile so eine Medienöffentlichkeit genießt. Aber manchmal muss ich heute schon eher warnen. Ein Marathon ist bestimmt kein Sonntagsspaziergang und gehört sehr sorgfältig vorbereitet. Der dritte Teil der Reportage steht noch aus. Ich möchte zu Ihrer Frage und der Sendung ein paar grundsätzliche Gedanken äußern.

Wenn man abnehmen oder sich gesund laufen will, muss man bestimmt kein Marathonläufer werden. Gesundheitslaufen geht auch kürzer! Die Sendung impliziert ein wenig, als ob für jeden über 100 Kiloläufer Marathon jetzt das ultimative Ziel werden müsste. Man ist auch ohne Marathon gelaufen zu sein ein Läufer! Einen Marathon in einem Jahr schaffen zu müssen, was bei dieser medienträchtigen Vorgabe ja wohl offensichtlich so geplant war, sehe ich auch sehr skeptisch, vor allem bei starkem Übergewicht. Langfristig kann ein Marathon im Hinterkopf durchaus eine Motivation für jahrelanges Fitnesslaufen sein. Das muss aber nicht in einem Jahr geschehen. In meinen Büchern empfehle ich mindestens eineinhalb Jahre Vorbereitung. Joschka Fischer hat seinen ersten Marathon genau nach dieser Zeit geschafft und das war schon sehr schnell. Manche können das durchaus früher, andere nie. Für viele ist es meiner Meinung nach auch überhaupt nicht sinnvoll Marathon zu laufen. Wie schnell sich Läufer entwickeln, kann man überhaupt erst im Laufe des Trainings nach einigen Monaten sehen. Die eine stark übergewichtige Dame ("Anna") hätte ich von Anfang an walken lassen. Das mußte sie für sich selbst erst und mit Hilfe meiner Ärzte in Freiburg rausfinden. Seltsam. Marathon ist bestimmt nicht die richtige Vorgabe für sie gewesen. Ein Fehler ist es nach meiner Meinung, wie in dem Film dargestellt einen Halbmarathon bereits nach einem halben Jahr laufen zu müssen. Das kann ich nicht nach vollziehen. Der Halbmarathontest hätte viel besser vier Wochen vor New York im Rahmen des speziellen Marathontrainings rein gepasst, so wie es in meinen jahrzehntelang erprobten Marathonplänen in meinen Büchern steht. Zudem war es an dem Tag in Mainz sehr heiß. Ich war dort selbst als TV-Kommentator beim Mainz Marathon dabei. Kein Wunder, wenn das dann mit so kurzer Vorbereitung bei der Anna schief ging. Ich hätte sie jedenfalls an diesem Tag keinen Halbmarathon laufen lassen. Auch die anderen haben unnötig gelitten. Einige Monate später hätten die das viel besser geschafft! Ein kürzerer Test über 10 Kilometer wäre nach einem halben Jahr viel sinnvoller gewesen. Bleibt abzuwarten was der dritte Teil bringt. Natürlich kann man es irgendwie immer hinbekommen zur Not mit Walking in New York. Durchwürgen geht immer... Aber mit längerer Vorbereitung ist das Marathonerlebnis schöner und es wären vielleicht auch viel weniger Verletzungen und Wehwehchen vorgekommen.

Ich würde Ihnen selbst raten, wenn Sie Einsteiger sind, überhaupt erst mal Läufer zu werden. Wenn Sie beschwerdefrei mit einem langsamen und vorsichtigen Aufbau nach einem halben oder einem dreiviertel Jahr bereits erste Volksläufe über 10km geschafft haben, und im Training problemlos und beschwerdefrei 15km laufen können, würde ich Ihnen tatsächlich nach einem Jahr vielleicht zu einem Halbmarathon als Ziel raten. Das Gewicht wird bis dahin sicherlich auch schon runter gekommen sein. Wann der volle Marathon realistisch möglich ist, sagen einem die Knochen, nicht eine Vorgabe wie: Es muss in einem Jahr sein. Sie werden später einen Marathon umso müheloser schaffen, je besser Ihre Grundlagenausdauer und die orthopädische Stabilität ist. Das braucht aber seine Zeit. Also haben Sie Geduld. Es muss also wirklich nicht in einem Jahr von Null auf Marathon sein. Das ist eine medienträchtige Vorgabe in einer ungeduldigen, sensationsheischenden Zeit, die nicht mehr die Muse findet etwas in Ruhe wachsen lassen zu können.

Nachtrag:

Nachdem ich nun auch den dritten Teil gesehen habe, verstärkt sich mein Eindruck, dass hier unter der Vorgabe, der Marathon müsse nach einem Jahr geschafft werden, ein selbstinszeniertes TV-Marathon-Qual-Drama präsentiert wurde. Der neutrale Zuschauer erhält den Eindruck, dass Marathon eine Knochenschinderei sein müsse. Marathon - ein qualvoller Ego-Trip im Grenzbereich? Aber den Teilnehmern hätte bei mehr Geduld und individuellerer Planung die meisten Qualen erspart bleiben können. Garantiert könnten sie einen Herbst später viel besser Marathon laufen... eben nach zwei Jahren. Aber dann hätte man vielleicht weniger einschaltquotigen Herz- und Knochenschmerz zeigen können. Hätte das ein guter Trainer übrigens nicht vorher wissen und das Konzept hinterfragen beziehungsweise anpassen müssen? Letztlich mußten auch andere Fragen drei Abende füllen: Hält die Ehe von Iris? Oder kratzt die beim nächsten Aufeinandertreffen dem Trainer die Augen aus? Eben eine Marathon-Soap-Opera...

Und noch was: die Laufszene wandelt sich: Die neuen Popstars der Laufszene heißen nicht mehr Baumann, Dörre und Freigang, sondern Mücke, Iris und Anna und tingeln von Talkshow zu Talkshow und schreiben danach ihre Memoiren. Immerhin: Medienpräsenz fürs Laufen! Wenn die Spitze fehlt, dann zeigt man eben auch heute die Leistungen, Kämpfe und Krämpfe aus dem Hinterfeld. Prinzipiell: warum nicht? Aber es wäre nicht nur schön für die Teilnehmer, sondern auch für den Marathon gewesen, wenn diese Geschichte schon bei der Planung mit mehr Geduld orthopädisch sinnvoller und machbarer angelegt worden wäre. Aber das Normale und Vernünftige läßt sich scheinbar nicht um 20.15 Uhr verkaufen.

Man hat aber scheinbar nach deutlichen Kritiken aus der Fachszene dazugelernt. Es gab eine Wiederholung von Null auf 42 im Rahmen des Mainz Marathons schon 2005. Immerhin jetzt mit dem deutlichen vernünftigeren Alternativziel: Mach mal halblang! Es darf dann auch der Halbmarathon nach einem Jahr sein! Na endlich!

Also: Eile mit Weile! Viel Erfolg

Ihr Herbert Steffny

Ein etwas sanfteres Programm in Stern TV 2004: "Von Null auf 10"

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Mit Herbert Steffny zum New York Marathon

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