Ratgeber: Geschwindigkeit passt nicht zum Puls?

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Lauftempo und Herzfrequenz passen nicht zueinander?


Frage von Manfred T.:

Hallo, Herr Steffny,

Seit etwa einem Jahr nutze ich begeistert Ihr Buch "Das große Laufbuch". Eine Frage konnte ich leider in dieser Zeit nicht klären und betrifft die Tabelle auf Seite 138 ("10km Wettkampfpläne: Trainingsumfang und Tempo") und dort die Spalte "Jogging Zeit/km.
Ist das hier angegebene Tempo für Jogging, dass Sie ja in Ihrem Buch über eine Pulsfrequenz von <=70% der maximalen Herzfrequenz definieren, nicht zu schnell?

Ich selbst laufe die 10km im Wettkampf so um die 45 Minuten bei ca. 92% maxHF, die Tempodauerläufe bei 85%maxHF in 5:05/km, 80%max HF ca. 5:50/km, 75%max HF ca.6:30/km. Bei den längeren Sonntagsläufen bei 70%max HF laufe ich ein Tempo von etwa 7:15/km(!!) im deutlichen Gegensatz zu den ca. 6:06/km(!!!) die ich aus der Tabelle ableite! Falle ich mit meinem Tempo bei 70% maxHF aus dem Rahmen? Laufe ich die langen Läufe zu langsam oder lese ich die Tabelle falsch? Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen :-).

Viele Grüße

Manfred T.


Antwort von Herbert Steffny:

Lieber Herr T.,

das ist eine interessante Frage, bei deren Beantwortung ich ein wenig tiefer in die Zusammenhänge einsteigen muss und hier stellvertretend darstellen möchte. Wie so oft, fehlen mir natürlich viele Angaben, aber ich kann einige allgemeine Lösungsvorschläge anbieten.

In der Tat kann man die Geschwindigkeiten und die Herzfrequenzen nicht immer parallel setzen. Das liegt teilweise daran, dass die Witterung, Kleidung und der Untergrund oder auch die Höhenlage (dünne Luft) und das Geländeprofil (bergan, bergab) oder die Laufökonomie diese Relation beeinfussen können, andererseits, dass die prozentualen Berechnungen vom Maximalpuls auch davon ausgehen, dass der der Anstieg der Herzfrequenz auch jenseits der anaeroben Schwelle gleichmäßig weiter geht (siehe auch die Grafik im Großen Laufbuch in den neueren Auflagen auf S.89 und den zugehörigen Text). Zudem stellt sich die Frage, ob Sie den Maximalpuls wirklich genau ermittelt haben, denn ein prozentualer Pulswert von (nur) 92 % beim 10k Wettkampf ist eigentlich niedrig. Wenn Sie den 10er voll laufen, sollte der Puls zumindest gegen Ende eigentlich näher am oder sogar bis zum Maximalpuls ansteigen (Spurt) oder Sie geben nicht alles beim Wettkampf?!

Grundsätzlich sollte man sowohl zeit- als auch pulsgesteuert sein Training kontrollieren (siehe S.92, 97-98) und letztlich auch das Körpergefühl dazu nehmen. Bei gesundem Menschenverstand und kritischem Nachdenken kann je nach Situation das eine oder andere die Methode der Wahl sein. Für das zeitgesteuerte Training sind meine Tabellenwerte ungefähre Richtwerte bei flacher Strecke, festem Boden, auf Meereshöhe und bei weder zu kaltem noch zu warmem Wetter und luftiger Kleidung. Bei heißem Wetter, sauerstoffärmerer Höhenluft, matschigem Untergrund oder bergan ist die Geschwindigkeit bei gleichem Puls natürlich deutlich niedriger. Hier wäre eine Orientierung an der Herzfrequenzmessung zu empfehlen. Letztlich beinflusst auch die Kleidung das Pulsverhalten. Hat jemand zuviel an, kommt es zu einem Wärmestau, die Pulswerte steigen wegen der dadurch bedingt erhöhten Körpertemperatur unerwartet hoch an, obwohl man sehr langsam läuft. Viele Läufer ziehen zu Beginn des Trainings einfach zuviel und teilweise auch unfunktionelle, wenig luftdurchlässige Kleidung an. Zahllose um die Hüften gebundene Jacken in deutschen Parks und Wäldern zeugen davon. Vielleicht trifft das auch auf Ihre langsamen Läufe zu? Bei den flotteren Einheiten legen Sie vielleicht die Jacke ab?

Weiterhin kann auch die Laufökonomie das Pulsverhalten beeinflussen. Wenn jemand zum Beispiel besonders häufig in einer bestimmten Geschwindigkeit ("seinem Tempo") läuft, so hat er diese oft geübt und läuft in dieser Belastung entsprechend effizient. Dadurch kann der Puls (und auch die Laktatwerte) bei diesem Tempo überraschend niedrig liegen. Läuft er in einem ungewohnteren Tempo schneller oder langsamer, so ist der Puls oft erstaunlich höher als zu erwarten wäre. Ein gutes Beispiel hierfür ist der chronisch zu schnell trainierende "Macholäufer", der mit seiner Frau, Freundin oder anderen Freizeitläufern partout nicht gemächlich joggen kann, da ihm "dabei die Füsse einschlafen" oder er "Muskelkater davon bekäme", wie er behauptet. In der Tat ist für ihn dieses langsame Laufen erstaunlich anstrengend, weil er diesen Schritt einfach nicht drauf hat. Es ist für ihn eben unökonomisch, weil er es nicht übt. Natürlich täte ihm langsames Tempo als regenerativer Lauf eigentlich gut. Ähnlich haben Frauen oft Probleme in ein flotteres Tempo zu wechseln, weil sie Angst davor haben die Fettverbrennungs- (oder Unterhaltungs-) Zone zu verlassen. Damit laufen Sie zwar meistens richtig, aber ein flottes Läufchen pro Woche sollte dann doch schon mal sein, wenn man seine Leistung verbessern möchte. Der Puls liegt also umso niedriger, je ökonomischer man in einer bestimmten Geschwindigkeit laufen kann. Da Sie offenbar zu den (wenigen) Männern gehören, die wirklich langsam laufen können (und das offenbar auch oft tun), haben Sie diesen Bewegungsablauf gut drauf, entsprechend niedrig ist Ihr Puls im Verhältnis zu anderen Läufern, die selten in diesem Bereich joggen.

Ein Problem ergibt sich auch bei der Verwendung der prozentualen Maximalpulswerte als Berechnungsgrundlage für die Trainingszonen. Bei den meisten Läufern knickt die Herzfrequenzkurve im Bereich der anaeroben Schwelle ab (Diagramm S.89). Auf der Ermittlung dieses Abknickpunkts beruht auch der sogenannte Conconi-Test (S.89), auf den ich hier nicht näher eingehen möchte. Die Schwierigkeit besteht darin, dass nicht alle Läufer diesen Knickpunkt aufweisen, d.h. die Herzfrequenz steigt mehr oder weniger weiter linear an. Das bedeutet Folgendes: rechnet man bei diesen Läufern vom 100% Wert z.B. auf den 75 Prozentwert runter, so ist bei diesen die Geschwindigkeit relativ höher, als bei Läufern mit einer ausgesprochen geknickteren, also flacheren Herzfrequenzkurve jenseits der anaeroben Schwelle. Den Verlauf Ihrer Herzfrequenzkurve kenne ich nicht, auch hierin kann eine Abweichung begründet liegen.

Meine Empfehlungen:

1.) Prinzipiell ist es richtig beim regenerativen Lauf auch langsamer als der Tabellenwert (der eher 70% entspricht) zu laufen, denn Erholung, aktive Regeneration und Luxusdurchblutung steht hier absolut im Vordergrund. Fühlt man sich also von einem Belastungstag noch etwas angeschlagen, darf es ruhig ein wenig langsamer sein. Ich empfehle schließlich für die Regeneration einen Wert von unter 70%, also es darf auch 65 oder 60 Prozent sein, wenn einem danach ist. Hier bestimmen weder Laktat, noch Herzfrequenz, sondern Bewegungsapparat und Körpergefühl wie langsam zu traben ist.

2.) Sie sollten Ihren Maximalpuls noch einmal neu überprüfen, bzw. bei einem versiertem Trainer oder einem sportmedizinischem Institut eine Leistungsdiagnostik (Stufentest) auf dem Laufband mit Laktatbestimmung durchführen, um Ihren individuellen Werten näher zu kommen. Die Formeln und meine Tabellen sind letztlich immer Standardempfehlungen, die für den Anfang nicht schlecht sind, aber immer einer gründlichen individuellen Überprüfung unterzogen werden sollten.

3.) Die langen Läufe im Marathontraining sollten zu Beginn wirklich langsam sein, mit Rücksicht auf den Bewegungsapparat im Zweifelfsfall je nach individueller Situation und Anfälligkeit vielleicht auch langsamer als zunächst in meinen Plänen angegeben. Mit 7:15 laufen Sie allerdings in der Tat sehr langsam. Wenn man etwa drei lange Läufe bis 32 Kilometer im Marathontraining langsam und ohne Beschwerden (!) hin bekommen hat, kann man diese anschließend auch schneller durchführen. In dem für Sie in Betracht kommenden Plan für unter 3:30 Stunden wäre das der Halbmarathon in der 7. Woche (21km volles Rohr!, dazu ein- und auslaufen) und der Crescendolauf der 8. Woche (von km 20 auf 30km schneller gelaufen, siehe auch S.95), also ein Lauf mit Endbeschleunigung.

4.) Überprüfen Sie auch die anderen genannten Aspekte wie z.B. zur Kleidung, Untergrund, Witterung etc.

Die anderen Zonen des Dauer- und Tempodauerlaufs entsprechen bei Ihnen in etwa meiner Tabellenempfehlung. Ein fortgeschrittener, erfahrener Athlet sollte aber auch immer den Mut haben nach Körpergefühl, Witterung und Tagesform die Belastungen mit Fingerspitzengefühl ein wenig anzupassen.

Viel Erfolg weiterhin und keep on jogging (sometimes faster ;-))

Herbert Steffny

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