In Memoriam Samuel Wanjiru |
Copyright, Text, Fotos: Herbert Steffny
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Sammy Wanjiru – Ein Nachruf zum zweiten Todestag Am heutigen 15. Mai jährt sich zum zweiten Mal der Tag, an
dem Samuel Kamau Wanjiru eines der größten Lauftalente, das die Läuferwelt je
bewundern durfte, unter mysteriösen Umständen verstarb. Als ich im Februar 2011
auf Kip Keinos Farm in Eldoret/Kenia bei einem regionalen Schulcrosslauf die
Nachwuchsläufer fragte, wer für sie der größte kenianische Läufer sei, waren sich die Jugendlichen
einig: Sammy Wanjiru! Ich hakte nach: „Wegen seines Marathon Olympiasiegs?“ Sie grinsten
verlegen und schauten sich gegenseitig an. „Nein, wegen des Geldes, das er
verdient hat!“ Aber der Reichtum wurde dem mit 24 Jahren viel zu jung
verstorbenen Samuel Wanjiru zum Verhängnis. Weltrekorde - Made in Japan Samuel Wanjiru wuchs bei seiner alleine erziehenden Mutter und mit einem Bruder Nyahururu/Kenia in Armut auf. Mit 12 Jahren musste er aus Kostengründen die Schule abbrechen. 2003 bekam er als 15-Jähriger wegen seiner Laufleistungen ein Stipendium nach Japan und errang für die Ikuei Gakuen High School in Sendai unter den Fittichen von Koichi Morishita, dem Olympia-Zweiten im Marathonlauf von 1992 Siege im Crosslauf, bei Ekiden Staffeln und bei Bahnrennen. Dabei stellte er 2005 in Brüssel als Dritter im selben Rennen, bei dem der Äthiopier Kenenisa Bekele den noch heute gültigen Weltrekord mit 26:17,54 Minuten lief mit 26:41,75 Minuten 18-jährig bereits einen Junioren Weltrekord über 10.000 Meter auf. Das Rosa Associati Management um Dr. Gabriele und Frederico Rosa holte den Nachwuchsstar nach Europa, wo er sogleich im Straßenlauf brillierte. Zu seinen Glanzleistungen gehörten 2005 der Sieg beim Rotterdam Halbmarathon in Weltrekord 59:16 Minuten, den er keinem geringeren als dem Kenianer Paul Tergat abnahm. Zwei weitere Weltrekorde 2007 auf dieser Distanz, 58:53 Minuten in Ras Al Khaimah und zuletzt 58:33 Minuten in Den Haag folgten. Die Art und Weise wie er seine Rennen gestaltete, faszinierte mich schon damals. Statt sich hinter einen Hasenmauer zu verstecken und geleiten zu lassen, ließ der impulsive Kampfläufer beispielsweise die Tempomacher schon nach drei Kilometern stehen und machte sich auf und davon! Das machte natürlich Appetit auf sein Marathondebüt.
2007 war es soweit und der 20-jährige Wanjiru überzeugte
gleich beim Debüt in Fukuoka mit Sieg in Streckenrekordzeit 2:06:39 Stunden. Im folgenden
Jahr unterlag er in persönlicher Bestzeit 2:05:24 Stunden beim London Marathon nur
knapp seinem Landsmann Martin Lel, womit er sich aber für die Olympischen
Spiele qualifizierte. Beim Olympiarennen in Peking machte sich der erst
21-Jährige in seinem dritten Marathon dann für die Laufwelt unsterblich.
Insbesondere in Kenia, denn es war für das Läuferland, das im Marathonlauf
mittlerweile so dominierte, endlich der erste Olympiasieg über 42,195
Kilometer. Der äthiopische Nachbar, der früher als die Marathonnation Afrikas
galt, hatte mit zwei Olympiasiegen 1960 und 1964 durch Bikila Abebe, dann Mamo
Wolde 1968 und schließlich Gezaghne
Abrera 2000 deren bereits vier! Auch in Peking war die Art und Weise
beeindruckend wie er in einem schweren Hitzerennen durch unkonventionelle
Zwischenspurts immer wieder die Gegner antestete, ja schockierte und letztlich
distanzierte. Die Zeit von 2:06:32 Stunden bei Temperaturen von über 25 Grad war neuer
Olympischer Rekord, fast drei Minuten schneller als der Portugiese Carlos Lopes
1984 in Los Angeles. An diesem Tag war Wanjiru überragend und zweifelsohne in
der Form seines Lebens. Bei kühlem Wetter wäre der 21-Jährige möglicherweise
Weltrekord gelaufen! Zweimal Gewinner des 500.000 Dollar Jackpots Wanjiru galt natürlich jetzt als erster Anwärter, den Äthiopiern den Marathon Weltrekord wieder zu entreissen. Paul Tergat hatte die Marke vorübergehend 2003 mit 2:04:55 Stunden nach Kenia geholt, bis Haile Gebrselassie den Rekord zweimal in Berlin, zuletzt 2008 auf 2:03:59 Stunden verbesserte. Wanjiru siegte 2009 jeweils wieder in Streckenrekord zunächst in London mit 2:05:10 Stunden und beim renommierten Chicago Marathon in 2:05:41 Stunden. 2010 wiederholter er seinen Sieg in Chicago in 2:06:24 Stunden. Wanjiru war auf seinem sportlichen Zenith und kassierte für afrikanische Verhältnisse Unsummen. Zweimal gewann er den mit 500.000 Dollar dotierten Jackpot der World Marathon Majors Serie. Allein sein Antrittsgeld für einen Marathon dürfte 250.000 Dollar gewesen sein. Man schätzt sein Einkommen zwischen 2007 und 2010 auf mindestens sechs Million Dollar. Das entspricht in Kenia einem Gegenwert an Kaufkraft in Höhe von rund 150 Million Euro!
Doch der Erfolg und leider auch der Alkohol stiegen dem mutigen, nur 1,63 Meter kleinen Läufer mehr und mehr zu Kopf. Zuerst munkelte man in Insiderkreisen über ein Alkoholproblem, dann wurde es mehr und mehr offensichtlich. Wanjiru verbrachte bald mehr Zeit in Kneipen als auf den Laufstrecken und lud jeden, der ihn in einer Bar erkannte zu einem Drink ein. Erfolg, dicke Autos, Villen, Luxus, das zog auch Frauen an, von denen der Laufstar bald umgeben war. Wanjiru stand zunehmend weniger auf Grund seiner läuferischen Leistungen, sondern eher wegen seiner Skandale in der Presse. Statt sportlich den Weltrekord anzugreifen, hatte er sich zunehmend menschlich nicht mehr im Griff. Mal fuhr er mit seinem Wagen alkoholisiert auf einem Marktplatz die Gemüsestände um, oder schlimmer: er wurde inhaftiert, weil er im Rausch seine Frau und einen Wachmann mit einer illegalen Kalschnikow bedrohte. Auf ihn wurden mehrfach Überfälle zuhause oder auch auf der Landstraße versucht, weswegen Wanjiru sich bewaffnete. Im Januar 2011 war er zudem noch in einen schweren Autounfall verwickelt. Sein Auto überschlug sich mehrfach, als er einem entgegen kommenden LKW ausweichen musste. Wanjiru kam glimpflich davon.
Tragisch und ungeklärt dann aber sein Ende. Er soll aus einer Bar in Damenbegleitung zu seiner Villa in Nyahururu gekommen sein und... nun differieren die Polizeiberichte, von denen es zwei gibt... in Flagranti von seiner nachts eintreffenden Frau erwischt worden sein. Diese habe ihn im Schlafzimmer eingesperrt und sei davon gerannt, woraufhin er dann vom Balkon springen wollte, um sie aufzuhalten. Dabei sei er unglücklich auf den Kopf gestürzt und im Krankenhaus verstorben. Ein erster Polizeibericht sprach noch von Selbstmord. Es folgte ein Streit zwischen seiner Mutter und seiner Ehefrau Triza Njeri, einer ehemaligen Sängerin, mit der er einen Sohn und eine Tochter hatte. Sie habe ihn mit Komplizen erschlagen, wird auch unter vorgehaltener Hand in Kenia gemunkelt. Seltsam, von der Überwachungskamera der Villa gab es Bilder, die aber nur zeigten wie Wanjiru nachhause kam, der Rest fehlt. Zwei weitere Frauen tauchten auf und behaupteten ebenfalls mit Wanjiru verheiratet zu sein, darunter Mary Wacera, die Junioren-WM-Dritte über 5.000 Meter 2006, eine Trainingspartnerin. In Kenia ist es nicht unüblich mehrere Frauen zu haben. Die zweite Frau war Judy Wambui Wairimu, die von Wanjiru schwanger war und nach dessen Tod einen Sohn gebar. Mit 24 Jahren verstarb ein Sportstar, der aus ärmsten
Verhältnissen kommend, seinen Vater nicht kannte und vielleicht zu früh zuviel
Erfolg hatte, der sozusagen am laufenden Band Rekorde aufstellte und vielleicht
zuviel Geld in die Hände bekam. 2008 formulierte er noch sein Ziel "in fünf Jahren den Marathonweltrekord auf unter zwei Stunden" zu drücken. Es war ihm
nicht vergönnt diese kühne Aussage zu verifizieren. Mike Boit aus Kenia,
Olympiadritter über 800 Meter 1972 in München, sagte einmal zum Kenia-Experten
und Sportjournalisten Robert Hartmann, der in Eldoret sogar ein Gästehaus gebaut
hat: „Kenianer können mit Armut umgehen, aber nicht mit Reichtum.“ Das mag
nicht für alle kenianischen Laufstars gelten, aber auf Samuel Wanjiru traf es zu. Ich habe ihn in New York 2009 und 2010 als einen sehr netten, fast schüchternen Menschen kennen gelernt. Sein Tod hat mich persönlich getroffen und betroffen gemacht. Für mich gehört Wanjiru zu den
größten Marathonläufern aller Zeiten.
Der viel zu jung Verstorbene war nie ein
"Lauerer oder Lutscher",
sondern ein aggressiver, mutiger Tempoläufer, der
beim Laufen gerne das Heft in der Hand behielt
und die Rennen souverän diktierte. Im
privaten Leben sind ihm allerdings
die Zügel entglitten. Die
außerordentlichen sportlichen Leistungen von Wanjiru bleiben unvergessen! Keep on running Sammy! |