Zahlenspiele - Statistiken beim Laufen |
Hochgefühlt, hochgeredet,
hochgeschönt
Zahlenspiele
beim Laufen und Marathon
Autor und Copyright: Herbert
Steffny
18.12.2007
(Sie können hierhin gerne
verlinken)
Teil 1 - Zuschauerzahlen - Dichtung oder Wahrheit?
Teil 2 - Marathon - gemeldet, gestartet oder gefinisht? (folgt)
Teil 3 - Der Laufboom - Jeder fünfte Deutsche ein Läufer? (folgt)
Teil 1 - Zuschauerzahlen - Dichtung oder Wahrheit?
Million
- das klingt immer gut! Nach meinem ersten Profirennen in
Italien war ich bereits Millionär! Der Veranstalter
drückte mir nach einem Elitelauf in Bojano im
italienischen Apennin ein fettes 1000 Lire-Geldbündel in
die Hand, für Preisgeld und Spesenersatz. Zuhause
angekommen und nachgerechnet waren es in Deutscher Mark
rund tausendmal weniger.... Ich beschloss weiter zu
laufen... Große Zahlen
lassen sich gut verkaufen. Nicht nur "sex
sells", sondern
auch "big is beautiful" - Je größer,
desto besser soll es angeblich sein: Oberweite,
Einkommen, Einschaltquoten oder auch Teilnehmer- und
Zuschauerzahlen bei Marathon Veranstaltungen. Und da wird
wie beim Anglerlatein um des besseren Eindrucks willen
schon gerne mal ein wenig hochgeschönt, hochgefühlt
oder hochgeredet. Seltener wird wirklich hoch- oder
nachgerechnet. Genau das möchte ich aber hier
versuchen. |
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"Milliunen Leut sinn gelaafen..." "Milliuunen
Leut"..., so sagt man in meinem heimischen
Trierer Dialekt. Von "Milliuunen Leut"
spricht man immer dann, wenn viele an etwas teilnehmen
oder auf einem Platz zusammen kommen. "Milliuunen
Leut sinn heut mitgelaafen..." könnte
es beispielsweise beim Trierer Stadtlauf heißen. Die
Zahlenangabe "Milliuunen" darf man dabei aber
nicht ganz wörtlich nehmen. Es bedeutet auf gut
trierisch etwa "ziemlich viele". Das könnte
auch für einen Auflauf oder eine Demo von ein paar
hundert Menschen gelten. Realistisch wären ein paar
Tausend Teilnehmer beim Trierer Stadtlauf, aber bitte
doch keine Million? Trier hat tatsächlich knapp 100.000
Einwohner. Die Stadt Zürich ist
größer. 2007 sind es rund 372.000 Einwohner. In der
dortigen Presse entstand eine erregte Diskussion über
die tatsächlichen Teilnehmerzahlen bei der 15.
Street- oder Loveparade. Was 1992 bei der ersten
Auflage mit 2.000 Personen begann, mauserte sich zu einem
Techno-Spektakel an dem mittlerweile laut Veranstalter
"über eine Million", im Jahr 2005 wegen
regenerisch kühlem Wetter beispielsweise aber
"nur" 800.000 Raver, Spanner und Gaffer
unterwegs gewesen sein sollen. Experten von der Polizei
bezweifeln diese Zahlen heftig und rechnen nach. Es gibt
keinen Eingang, an dem man die Teilnehmer wie in einem
Stadion einfach abzählen könnte, so versucht man mit Luftbildern
und Zählrastern Herr der Zahlen zu werden.
Zudem gibt es bei einer beweglichen Menschenmasse
natürlich immer ein Kommen und Gehen. Die
Ordnungskräfte ermitteln bei Ihren Berechnungen nur die
Hälfte der angegebenen Zahlen der Veranstalter, was aber
immer noch viel wäre. Auf jeden Züricher ein Zuschauer
oder Beteiligter.... Donnerwetter! |
Gigantisch: 2 Million Zuschauer in New York? Zugegeben New York ist wirklich groß und laut Wikipedia mit 8,2 (Stadt) bzw. 18,8 Million (Metropole Groß-New York) Einwohnern größer als Trier und Zürich! Entsprechend gigantisch sind auch die Dimensionen beim New York City Marathon! Gerne wird New York nicht zu Unrecht auch als der Inbegriff und das Mekka des Marathons in höchsten Tönen gelobt. So gut wie jeder, der dort gelaufen ist, schwärmt hinterher davon und dabei wird sicherlich auch mal ein Auge zugedrückt, jedenfalls was die Zahlen angeht. Und das "Sich-Schönreden" bezieht sich sicherlich nicht nur aufs Zahlen von überhöhten Preisen bei den Hotels oder aufs Zählen der rund 400 Höhenmeter beim Überqueren der hohen Brücken, die dem Kurs manchmal eher den Charakter einer Panoramastrecke verleihen und sie nicht gerade schneller machen. Bestimmt aber gehört dieser nicht ganz einfach zu laufende Kurs besser später als früher in die Sammlung eines jeden weltgereisten Marathonläufers. Von Gigantismus zeugt nicht nur die stattliche Zahl von wirklich gezählten 38.676 Finishern im Jahre 2007, das ist die höchste offizielle Finisherzahl, die bis dato beim einem Marathon ankam, sondern auch die immer wieder gebetsmühlenhaft genannte Zuschauerzahl von zwei Million.... Das klingt gut, so richtig nach "Big Apple", eben newyorkig und ist aber (nachgerechnet) so nebulös wie die Sicht von einem "Wolkenkratzer" bei Wolken. Bei rund 8 Million Einwohnern stünde demnach jeder vierte Einwohner an der Strecke? Kann das wirklich sein? Natürlich sehen auch Gäste, die als Begleiter oder Fans extra für das Spektakel angereist sind, das Rennen. Aber rechnen wir doch einfach nach: Angenommen zwei Million Zuschauer verteilen sich über die 42,195 Kilometer. Das bedeutet 47,4 Zuschauer würden sich pro Streckenmeter entlang des Kurses verteilen, also rund 23 bis 24 auf jeder Seite. Weiterhin nehmen wir an, dass vier Zuschauer (bei einer Schulterbreite und einem maximalem Bauchdurchmesser von je 50cm) auf einen Quadratmeter passen, dann wären demnach also über den gesamten Streckenverlauf auf beiden Straßenseiten 12-er Reihen zu erwarten. Kann das sein? Übrigens rechnen die Züricher "Rasterfahnder" bei der Loveparade nur mit 3 Personen pro Quadratmeter und bezeichnen das schon als eng. Wie dem auch sei..., da sollte sich eigentlich bei jedem ehrlichen New York Finisher die Stirn runzeln. Ich bin selbst in New York mehrfach gelaufen. Ich habe vorne als Dritter 1984 und noch mal als Neunter 1990 das Zuschauerspalier bewundern dürfen. Weiter hinten bin ich 1999 in knapp vier Stunden mit Außenminister Joschka Fischer eingelaufen. Seit Jahren bin ich seither in New York als Sportreiseleiter dabei. Die Stimmung ist toll, aber nie waren diese Zuschauermassen anwesend. Zwar stehen viele Fans an Stellen wie der First Avenue oder im Central Park hier und da dicht gedrängt, aber selbst dort so gut wie nie als 12er Reihe. Nur im Zielbereich kommen auf den Tribünen vielleicht für 200 Meter ausnahmsweise mal mehr zusammen. Aber gähnende Leere oder Lücken anderenorts, wie auf der mehrere Kilometer langen Verrazano oder Queensborough Bridge. Die Afro-Amerikaner in der Bronx interessiert der Laufrummel auch nur wenig. Und in den meisten Abschnitten stehen die Zuschauer vielleicht höchstens in Einer- oder Zweierreihen oft auch nur vereinzelt. Ein Kritiker mag entgegnen, dass nicht alle Zuschauer gleichzeitig an der Strecke stehen, sondern nur zeitweilig den Läufern zujubeln und wieder gehen. Mag stimmen, aber dem ist auch entgegen zu halten, dass viele Zuschauer ihren Standort wechseln und an mehreren Stellen (so auch in Deutschland!) auf die Läufer warten und somit mehrfach gezählt werden könnten. Vielleicht machen ja auch einzelne Zuschauer in ihrer Begeisterung mit Ratschen, Tröttern, Trompeten und in New York auch mit Gekreische lautstark Lärm wie ein ganzes Dutzend. Der Erlebniswert ist nicht nur von der nüchternen Zahl abhängig. Wieviele es in New York letztlich genau
sind, wird nicht einfach zu ermitteln sein. Vielleicht
einige Hunderttausend , das erscheint mir wesentlich
realistischer. Aber "Million" passt besser zur
Megapolis New York City. Bestimmt sind es aber angesichts
der euphorischen Stimmung "gefühlte zwei
Million Zuschauer". Warum also nicht auch
wie in Trier "Milliuunen Leit"? Das ist zwar
zahlenmäßig nicht korrekt, aber stimmungsmäßig in
Ordnung, verkauft sich sprachlich gut und klingt auch
gefälliger in den Ohren von Sponsoren. Fred
Lebow, dem mittlerweile verstorbenen und
hochverdienten früheren Renndirektor waren diese
Vorwürfe auch nicht neu. Er verwies kritische
Journalisten auch auf die Zuschauer an den Fenstern der
(Hoch-)Häuser entlang der Strecke... und davon soll es
in New York bekanntlich sehr viele geben. Na ja...
Fred... gut geantwortet! |
Zwei Million Zuschauer in New
York... ja, wo sind sie denn?
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Deutsche Marathons backen manchmal zu große kleinere Brötchen... Laufboom, Marathonboom. Wer am lautesten schreit bekommt mehr Aufmerksamkeit? "The show must go on!" Na ja, an die Zahlen in New York traut man sich in Deutschland natürlich nicht heran. Der New York Marathon gibt an, dass 315 Million Zuschauer das Rennen am Fernseher verfolgen. Die Fernsehzuschauer hat man vielleicht bei einigen deutschen Marathons wohl auch dazu gezählt. Um die Medien und Sponsoren zu beeindrucken, orientiert man sich gerne im Zweifelsfall doch eher nach oben.... frei nach dem Motto: Wenn der New York City Marathon zwei Million angibt, dann passt zu Berlin in respektvollem Abstand eben eine Million und zu Hamburg standesgemäße 700.000. Ich habe es in der Tabelle rechts mal für einige große Marathons aufgelistet. Skepsis ist angebracht. Wie für den New York Marathon oben nachgerechnet, stehen auch in Berlin entsprechend keine 6-er Reihen durchgehend auf beiden Seiten und auch keine 5-er Reihen in Hamburg. Erstaunlich sind die Zahlen, die aus Köln und Essen gemeldet werden. Man mag es der rheinischen Frohnatur oder den geschönten Agenturangaben zuschreiben, aber ist es in Köln wirklich möglich, dass bei knapp einer Million Einwohner 800.000 Menschen an der Strecke standen? Der Veranstalter hat das Motto "Ganz Köln läuft" auf seiner Homepage. Weder läuft ganz Köln, die Krankenkassen würden sich über soviele Präventions-Sportler freuen, noch steht ganz Köln an der Strecke. Dass insbesondere die Einheimischen immer wieder begeistert von der Super-Atmosphäre sprechen, ist natürlich berechtigt. Als langjähriger TV-Kommentator des Köln, Berlin und Frankfurt Marathons kenne ich die Stimmungsbilder, aber es gibt neben dichten Zuschauerreihen an den mehrfach zu durchlaufenden Passagen in der Innenstadt, wo man logischerweise die selben Zuschauer auch mehrfach erlebt, auch Streckenabschnitte mit gähnender Leere. Bei allem Enthusiasmus, man kommt nicht auf ein Publikum von 800.000 am Streckenrand. Wie erwähnt, die Stimmung ist sicherlich nicht nur von der Kopfzahl abhängig. Die karnevalserprobten Kölner (ja, auch Düsseldorfer und Mainzer) gehen, wenn auf der Straße was los ist, bestimmt auch mehr aus sich heraus. Aber die Zahlen sollten dennoch stimmen und nicht erfunden sein! Der "Karstadt" Marathon mit Ziel in Essen vermeldet für sich sogar abenteuerliche 1.000.000 Zuschauer. Donnerwetter! Das sind Berliner Verhältnisse! Das verlängerte Streckennetz dieses verzweigten Marathons könnte theoretisch auch mehr Zuschauer fassen, aber auch hier dürften die Angaben kaum der Realität entsprechen. Aber vielleicht zählt man wie schon gemutmaßt die Fernsehzuschauer der regionalen Fernsehsendungen hinzu.... Der Frankfurt Marathon gibt sich im Vergleich dazu regelrecht bescheiden. Vielleicht sind die Hessen aber die einzigen im Chorus der Großen, die annähernd realistische Zahlen angeben... Fortsetzung Teil 2 und 3 folgen noch... |
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