Ratgeber: Tempoläufe im Marathontraining

Seminare Laufreisen Firmenseminare Vorträge Laufartikel Ratgeber Walktreff unser Team
  unser Hotel Laufgourmet? Laufbücher Lauflinks Titelseite Impressum  

Copyright: Herbert Steffny

Tempoläufe in meinen Marathonplänen zu langsam?

Mario fragt:

Hallo Herbert,

habe Dein
"Großes Laufbuch" bereits mehrfach durchgearbeitet und mich aktuell intensiv mit den Marathonplänen beschäftigt. Dabei fällt mir auf, dass Du bei den Tempodauerläufen bzw. bei den schnellen Dauerläufen mit weniger Tempo arbeitest, als ich es in meinen bisherigen Plänen gewohnt bin, in denen sich diese Läufe in der längeren Variante (bis zu einer Stunde) an das Marathonrenntempo heranarbeiten und in der kürzeren (10km) dieses erreichen bzw. in Wettkampfnähe sogar unterschreiten. Gleichzeitig arbeitest Du gezielt mit bis zu drei Aufbaurennen. Welche "Philosophie" steckt hinter diesem Ansatz? Meine Daten: 39 Jahre, Marathon-PB 2:36, Ziel für 2007 sub 2:35.

Viele Grüße,

Mario

P.S.: Da ich nächstes Jahr in die M40 "darf" will ich mir zum Saisonabschluss den
New-York-Marathon "schenken". Voraussetzung dafür ist, dass ich noch in Deine Gruppe reinkomme. Nach Deinem und Ralf Salzmanns EM-Auftritt hat mich seinerzeit das Marathon-Fieber gepackt, dem ich jetzt seit 1989 trotz der Hitzeschlacht von Frankfurt gleich bei der Premiere (Du wirst Dich an den Sieger gut erinnern können..;-)))) Jahr für Jahr neu erliege.

Antwort von Herbert Steffny:

Hallo Mario,

bist ja ein recht flotter "Hirsch!" Ich möchte diese wichtige Frage noch mal ausführlich beantworten. (Eine ähnliche Anfrage eines Läufers Deiner Klasse hatte ich schon mal:
Intensität im Marathontraining). Welche Philosophie dahinter steckt? Na ganz einfach: meine "Philosophie" und meine Erfahrung aus fast 30 Jahren Leuten Laufen beizubringen und seit 23 Jahren Marathonpläne zu schreiben für Läufer vom Einsteiger bis hin zum Weltklassebereich. Aber ich möchte es weiter unten gerne auch ein wenig begründen. Es ist allerdings auch im Großen Laufbuch, wenn man die Trainingslehre Kapitel aufmerksam liest, ebenfalls erklärt. Leider fotokopieren sich manche nur einen Plan, wollen 22,95 sparen, und haben das know-how um den Plan dann nicht verstanden. Angesichts der Startgebühr für einen Marathon von ca. 50 bis 80 Euro, ist 22,95,--, bei mir 368 Seiten und gut ein Kilogramm geballtes Wissen zu sinnvollen Vorbereitung eigentlich lächerlich wenig ;-))

Ich höre und lese gelegentlich, auch in Online-Foren, (neben sehr viel Lob) meine Marathon-Pläne wären zu lasch. Scheinbar müssen einige "Laufmachos" jeden Abend halbtot ins Bett fallen , um den Eindruck zu haben etwas getan zu haben. Sie sind leider oft noch die "Alpha-Läufer" in einer Trainingsgruppe oder im Lauftreff. Denen kann ich wirklich nicht helfen. Viele von diesen Trainingsweltmeistern laufen sogar recht gut über 10km und Halbmarathon, brechen aber im Marathon ein. Das war aber das Hauptziel des Trainings! Marathontraining ist eben grundlegend anders, und nicht nur ein verlängertes 10km Training! Grund ist u.a. mangelndes Fettstoffwechseltraining (langsame Läufe) und zu wenig langsame regenerative Zwischeneinheiten, die in meinen Plänen konsequent befolgt werden sollten!

Viele glauben wirklich, je mehr sie schnell laufen, desto besser wäre die Trainings"Qualität". Manche sprechen sogar davon, sie würden jetzt mehr "Qualität statt Umfang" trainieren. Sie meinen eigentlich "Intensität". Die wirkliche Qualität des Trainings ist eher die Abstimmung von Belastung in den Kerneinheiten (Intervalltraining, Tempolauf, langer Lauf usw.) und echter Regeneration (ganz zahme Joggingeinheiten an den Zwischentagen, die oft zu schnell gemacht werden). Qualität im Marathontraining ist natürlich auch ausreichende Kilometerzahl! Wer glaubt sich mit einer schnellen Einheit zwei langsame Läufe sparen zu können, liegt natürlich falsch. Er trainiert die falschen Stoffwechselbereiche.
Wer keine Zeit zum Training hat, sollte sich fragen, ob Marathon denn sein Ding ist, bzw. sich mit einer langsameren Zeit begnügen. Es alternativ mit der Tempobrechstange für Marathon zu versuchen, ist natürlich Unsinn!

Training ist nicht nur Belastung, sondern genauso wichtig: Regeneration! Der Trainingsfortschritt geschieht nämlich nicht beim Tempolauf, sondern in der Erholung und Anpassung hinterher. Macht man die nicht richtig, dann war der schnelle Lauf alleine sinnlos. Ein harter Reiz muss also verdaut werden können, sonst gibt es keinen Trainingsfortschritt. Leider schlagen nicht wenige immer nur drauf, statt auch mal die Reize zu verdauen. Der eigentliche Regenerationslauf wird im Glauben an mehr "Qualität" wieder zu enem mittelflotten Lauf. Qualität wäre es nach einem flotten Training am nächsten Tag ganz langsam (vielleicht mit der Freundin?) zu joggen.

Nun zu Deiner Frage nach dem Tempolauf: In den Marathon-Plänen in
meinen Büchern wird das Marathonrenntempo "umspielt": Es gibt in den fortgeschrittenen Plänen gezielte Einheiten im Marathontempo als Langintervalle (z.B. 3x5000m). Daneben etwas schneller Kurz-Intervalltraining wie 5x1000m im 10km Tempo (nicht schneller!!!) und die Wettkämpfe (10km und Halbmarathon), die ebenfalls schneller als das Renntempo sind und dann noch die Tempodauerläufe, die im Trainingsalltag in der Tat in meinen Plänen (nur) etwas langsamer sind, als es viele Trainingsweltmeister tun oder manche "Hardcore-Pläne" Schreiber empfehlen. Sinn ist es eine gute Mischung und den Kompromiss aus Kohlenhydrat- bei noch einigermaßen viel Fettstoffwechsel hinzubekommen und dabei die Regenerationszeit und die Knochen nicht unnötig lange zu strapazieren. Soll heißen: am nächsten und übernächsten Tag kann prima weiter trainiert werden, während die "Schnellen" sich die Knochen reiben, aber "bekiffen" wie schnell sie waren.

Im anaeroben Schwellenbereich zu viel zu laufen, ist im Trainingsalltag, wo man selten ausgeruht ist, sehr riskant. Meist führt das ins
Übertraining und zur Verletzung. Bei meinem Wettkampfsystem (10km und Halbmarathon) läßt sich der Regenerationszyklus von dem umfangreichen Training zuvor (die letzten vier lockeren Tage vor einem 10er oder dem Halbmarathon) kombinieren mit einem (einigermaßen ausgeruht gelaufenen) wirklich harten Testlauf über 10km bzw. Halbmarathon im Rennen. Diese Testläufe sind nicht nur harte Läufe über dem Marathonrenntempo, sondern zeigen einem, wo man wirklich steht und sind (Halbmarathon) eine echte Generalprobe für den Marathon. Man kann nun anhand meiner Tabellen im Buch hochrechnen, was im Marathon wirklich drin ist.

Nach den Rennen, die natürlich zum Trainingssystem dazugehören, werden in den nächsten Tagen bzw. in der Woche danach nur ruhige Kilometer gesammelt (siehe "Fosterregel" im
großen Laufbuch). Nochmal: es ist also, wenn man unverletzt und nicht übertrainiert im Marathontraining durchkommen möchte, wichtig sehr locker zwischen den Kerneinheiten zu laufen. Lauf-Machos glauben nicht so lahm laufen zu können. "Da könnte man genauso gut ein Bier trinken usw." sind die blöden Sprüche in Unkenntnis der Zusammenhänge. Bei einem Jogging bei 65-70% vom Maximalpuls macht man nämlich neben wirklicher aktiver Regeneration immer noch viel Gutes für den Marathon (Grundlagenausdauer wie Fettstoffwechsel, Kapillarisierung, Myoglobin usw.). Diese Läufe werden aber von vielen nicht ernst genommen, sind aber entscheidend für die Qualität des Trainings (s.o.).

So genug philosophiert, und nun Dir einen erfolgreichen Einstieg in die "Mastersszene" ;-))

Keep on running

Herbert Steffny

Nachtrag: (Mario antwortete mir noch mal...):
Nochmals vielen Dank für die ausführliche Antwort, die ich erst jetzt lesen konnte. Bei mir "hing" es vermutlich zuletzt an der von Dir beschriebenen Überlastungsproblematik (TDL nicht richtig verdaut und GA1/Rekom nicht immer langsam genug). Irgendwie kennt man die Gründe, will sie aber nicht so recht wahrhaben ("ging doch jahrelang gut").

Viele Grüße,

Mario

Dazu passende und ergänzende Fragen:

Marathon unter 2:40

Marathonzeit klappt nicht!

Intensität im Marathontraining

Debütmarathon unter 4:00 bei nur 3 Einheiten/Woche?

zurück zum Ratgeber

Home

Inhaltsverzeichnis