Quo vadis - Marathonweltrekord? |
Haile
Gebrselassie und Co. und die Weltrekordhatz
Autor,
Copyright: Herbert
Steffny
- 22.1.2008 / aktualisiert 12.11.2009
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Übersicht:
Grenzgänger Haile Gebrselassie Der Weltrekordler Haile Gebrselassie
ist auch 2009 auf Weltrekord Jagd. Das ist nichts Neues.
27 Weltrekorde und Weltbestleistungen hat der Äthiopier
bisher schon aufgestellt. In Dubai verpasste er 2008
einen an diesem Tag möglichen Marathon Weltrekord und
die ausgelobte 1.000.000 Dollar Prämie durch zu
ungestümes Losrennen in der ersten Hälfte nur denkbar
knapp. Wieder eine Lehrstunde für den Meisterläufer:
bei seiner Zwischenzeit von 28:39 Minuten bei 10km lag er
auf 2:01 Stundenkurs! 29:23 Minuten hätten dagegen bei
einer sinnvolleren gleichmäßigen Renneinteilung für
2:04:00 ausgereicht. Mit 2:04:53 Stunden erzielte er nach
seinem Weltrekord von Berlin 2007 mit 2:04:26 Stunden, dennoch
die damals zweitschnellste Marathonzeit aller Zeiten. In Berlin
2008 konnte er
dann in gleichmäßigeren Zwischenzeiten mit einem neuen
Weltrekord 2:03:59 Stunden noch einmal nachlegen. In
diesem Jahr
reichte es bei etwas wärmerem Wetter nur für den
"kleinen Weltrekord" über 30km in 1:27:44
Stunden. Im Januar 2010 möchte er noch einmal in Dubai
angreifen. Haile wird mit 36 Jahren auch nicht jünger. Wer ist der größte Langstreckler aller Zeiten? Für Gebrselassie gilt aber nur der
Superlativ: Platz zwei ist schon verloren, Weltrekord
verpasst ist eben daneben! Er wird an den höchsten
Maßstäben gemessen und daran ist er selbst Schuld, denn
er mißt sich selbst daran. Seine Messlatte ist
Olympiasieg, Weltmeistertitel und Weltrekord. Sein
großes Vorbild, seinen Landsmann Abebe Bikila,
der 1960 barfußlaufend und 1964 jeweils in
Weltbestleistung in Rom und Tokio gleichzeitig auch
Marathon Olympiasieger wurde, kann er über diese Distanz
nicht mehr übertreffen. In puncto Olympiasieg erklärte
der Äthiopier beim Berlin Marathon in London 2012 noch
einmal angreifen zu wollen. In Berlin ist Haile
unbesiegt, aber der London Marathon brachte ihm in der
Vergangenheit noch nie Glück. Als Langstreckenläufer
braucht Gebrselassie allerdings keinen Vergleich mit den
Lauflegenden Paavo Nurmi oder Emil
Zatopek zu scheuen. In der großen und breit
angelegten Weltrekordsammlung des immer freundlich
lächelnden und geduldigen Äthiopiers fehlte bis 2007
nur noch der Marathonweltrekord. Mit einem Marathon
Olympiasieg wäre er für mich der größte
Langstreckenläufer aller Zeiten. Aber mit 39 Jahren?
Diese Chance hat er in Peking 2008 vertan. Zu dicht sind
ihm die Kenianer auf den Fersen. Die
Weltjahresschnellsten Duncan Kibet und James
Kwambai näherten sich in Rotterdam mit 2:04:27
Stunden bereits der Weltrekordmarke des Äthiopiers
erstaunlich nahe. Und mit Samuel Wanjiru,
dem Olympiasieger 2008 und Weltrekordler im Halbmarathon
sitzt der eigentliche Joker der selbstbewußt gewordenen
Kenianer bereits in den Startlöchern. Zu ihm unten
mehr... Unerreicht - viermal in Folge Weltjahresbester Kaum zu glauben, dass für jemand, der auf
1.500 Meter schon eine Bestleistung von 3:31,76 (Halle,
Stuttgart 1998) hat, das Talent auch für die
stoffwechselphysiologisch anders geartete
Langzeitausdauer des Marathonlaufs ausreicht. Obwohl
Haile schon 2005 und 2006 die Marathon-Weltbestenliste am
Jahresende anführte, war er wegen seiner Flops in London
(2006 "nur" Neunter in 2:09:05 Stunden, 2007
sogar ausgestiegen) in der Marathonszene noch nicht so
recht angekommen und galt eher als alternder
Wunderläufer im Stadionoval. Doch seine früher
dominierende Rolle auf der Bahn überträgt er längst
ebenso erfolgreich auf die Straße. Spätestens nach
seinem Weltrekord in Berlin 2007
zweifelte keiner mehr am Marathonläufer Gebrselassie. Er
schaffte es zudem 2005-2008 viermal in Folge
Marathon-Weltjahresschnellster zu sein. Eine
Leistung, die bisher nur wenigen Läufern dreimal gelang:
Grete Waitz 1978-80, Tegla Loroupe 1997-99, Sergey Popov
1957-59, Jim Peters 1952-54. Viermal in Folge
Weltjahresbester, das hat noch niemand erreicht! Das Mittel
seiner bisher drei schnellsten Marathonläufe ist
sensationelle 2:04:26 Stunden (siehe Tabelle unten rechts). Ich hatte selbst die Ehre und
das Vergnügen den kleinen Äthiopier bei seinen
Weltrekorden 2007 und 2008 in Berlin in der ARD live
kommentieren zu dürfen und ich war begeistert. Diese
Willensstärke und dieser Kampfgeist in der Endphase, wo
der Mann mit dem Hammer lauert! Haile beschleunigte
jenseits der 30 Kilometer in Berlin 2007 ohne Hasen oder
Konkurrenten bei seinem Rekordlauf sogar! Es sei
erinnert, dass Paul Tergat bei seinem
Rekordlauf 2003 in 2:04:55 Stunden bis auf den letzten
Meter gegen seinen Tempomacher Sammy Korir
kämpfen musste. In diesem Zweikampf, den Haile bisher
auf den letzten 12 Kilometern nicht mehr liefern musste,
gewann Tergat natürlich wertvolle Sekunden. 2008 musste
er sich immerhin bis 35 Kilometer dem erbitterten
Widerstand des Kenianers James Kwambai erwehren. |
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Leistungen ohne Doping möglich?
Topleistungen sind schon immer (general-)verdächtig gewesen, so dass leider selbst saubere Athleten sich rechtfertigen müssen. Heute schwebt längst auch über dem Marathon das Damoklesschwert Doping! Solche Megaleistungen werden nicht immer ungerechtfertigt von Misstrauen begleitet. Die internationale Dopingagentur WADA musste unlängst eingestehen, dass in Afrika 2009 KEINE(!) Bluttests auf Doping vorgenommen wurden. Doch in dubio pro reo, soweit im Falle des Äthiopiers überhaupt einer angeklagt ist. Wieso kann ein Gebrselassie so unglaublich laufen? Neben meiner oben geäußerten Begeisterung frage ich mich als früherer Weltklasseläufer, Journalist und Trainer das selbstredend auch. Sind solche Leistungen sauber möglich? Gab es nicht Kontakte von Manager Jos Hermens zu Dr. Fuentes, dem spanischen Gynäkologen mit dem Nebenjob als Blutbeutelverwahrer? Mag sein, dass das nichts mit Gebrselassie zu tun hat und Dr. Fuentes hat bestimmt nicht nur als Dopingarzt geholfen. Fragt man die Insider-Journalistenkollegen, so bekommt man meist ein Achselzucken. Da möchte aber keiner, wenn auch stirnrunzelnd einen gedopten Gebrselassie wahr haben. Letztlich weiß niemand was hinter verschlossenen Türen vor sich geht, aber nachfolgend einige offene Gedanken von mir dazu, die für den sauberen Ausnahmeläufer Gebrselassie sprechen könnten:
Mit Sicherheit wird im Langstreckenlauf und
Marathonlauf gedopt. Ein spektakulärer Fall in jüngster
Zeit war 2007 die Honolulu Siegerin Lyubov
Denisova. Seltsam wie das Leistungsvermögen der
spanischen Langstreckler seit dem Ausheben des Fuentes
Labors rückläufig ist. 2:06 Stunden Mann Julio
Rey (1999 schon mal beim Doping erwischt und
für zwei Jahre gesperrt) läuft seitdem hinterher und
die sonst so schnellen Spanier de la Ossa und Co.
unterliegen dem Deutschen Jan Fitschen über
10.000 Meter bei der Europameisterschaft 2006 in einem
vergleichsweise langsamen Rennen. Bestimmt nur Zufall...?
Leichtathleten sollen jedenfalls auch unter den Kunden
von Fuentes gewesen sein. Die Akte ist aber leider von
den spanischen Ermittlern vorerst geschlossen worden...
Da würde mich schon mal interessieren, wer von der
Eigenbluttransfusion profitiert hätte (hat). Bestimmt
kein Sprinter, Hochspringer oder Kugelstößer. Der Weltrekord müßte eigentlich schneller sein Haile Gebrselassie ist also längst beim
Marathon angekommen. Er setzt die Maßstäbe und
vielleicht ist es sogar seine beste Distanz. Bei der
Pressekonferenz in Berlin philosophierte er aus meiner
Sicht sehr zutreffend, wenn auch von ihm sehr verkürzt
zusammengefaßt: "Auf der Bahn läufst
Du gegen die Uhr, beim Marathon gegen die Distanz!"
Jeder gestandene (Freizeit-) Marathonläufer weiß, was
hier gemeint ist. Nicht blindes Drauflosrennen, sondern
demütige, geduldige und fleißige Vorbereitung sind der
Schlüssel das immer ungewisse Abenteuer Marathon zu
bestehen. Der Weltrekordler hat als früherer Bahnläufer
auch im Kopf längst die 42,195 Kilometer verarbeitet, in
Dubai aber sich selbst nochmal eine (wichtige) Lektion
erteilt: mehr Respekt und Demut! Reichen diese Umstände
für 2:03:59 Stunden sauber zu laufen? Meine Antwort für
manche vielleicht ein wenig überraschend: Er
müßte eigentlich noch schneller laufen! Geht
man davon aus, dass seine Leistungen auch früher sauber
waren, dann würde man von seiner Bestzeit über 5.000
oder 10.000 Meter (26:22,75min) sowieso auf 2:03:05
Stunden hochrechnen können (Marathonzeit ist 4,666fache
10.000m Zeit, siehe Formeln im Bestseller "Das
große Laufbuch"). Diese Formeln gelten auch für Haile! Samuel Wanjiru - der nächste Marathonstar? Und es gibt bereits einen schnelleren Läufer als Gebrselassie, der sich an den Marathonweltrekord heran traut. Der heute erst 22-jährige Kenianer Samuel Wanjiru jagte dem Äthiopier 2007 den Halbmarathon Weltrekord in einem genialen Sololauf (nach 3 Kilometern ohne Hasen schon alleine laufend!) ab und drückte ihn auf 58:33 Minuten. Rechnet man diese Zeit hoch, so kommt man ebenfalls auf 2:03:32 Stunden. Seinen Einstand feierte Wanjiru im November 2007 beim Fukuoka Marathon, den er mit Ankündigung in 2:06:39 Stunden und in neuem Streckenrekord gewann, schneller als Gebrselassie bei seinem Sieg 2006. Der in Japan aufgewachsene Nachwuchsstar wird zudem je länger die Strecke wird, umso schneller. Auf den Unterdistanzen ist Wanjiru im Vergleich zu Tergat oder Gebrselassie sogar eher langsam (nur 3:52 Minuten auf 1500 Meter und 13:12 Minuten auf 5000 Meter). Fraglich natürlich, ob diese Zeiten ausgereizt sind, aber Fakt ist bei Wanjiru: je länger die Strecke wird, desto besser sind seine bisherigen Leistungen (10.000 Meter bereits 26:42 Minuten, Halbmarathon Weltrekord, Debüt Marathon auf Anhieb in einer Weltklassezeit). Seine geringe Größe (1,63 Meter) und sein leichtes Gewicht (52 kg) prädestinieren ihn zudem für Marathon, was Wanjiru mit dem Olympiasieg 2008 und dem London Marathon Sieg 2009 nun unter Beweis gestellt hat. Dazu kamen die in Japan optimalen Trainingsbedingungen in der Gruppe von Koichi Morishita, einem früheren Beppu (2:08:53) und Tokio Sieger, der die Silber Medaille im Marathon in Barcelona bei den Olympischen Spielen 1992 hinter dem Koreaner Hwang Young-Cho und vor dem Deutschen Stefan Freigang gewann. Wenn sich der mittlerweile wieder in Kenia ansässige Wanjiru nicht verletzt, so darf man zukünftig einiges von ihm erwarten. Seine Bestzeit drückte er in London 2009 mittlerweile auf 2:05:10 Stunden. 2010 möchte er wieder in London starten und spätestens in Berlin Haile den Weltrekord abjagen. Ob das im direkten Vergleich zustande kommt? Die letzten vier Jahre war Haile der Lokalmatador und Platzhirsch in der Bundeshauptstadt. Haile selbst versucht es im Januar erneut in Dubai, wo ein schneller Kurs und 1.000.000 Dollar für Weltrekord locken. Hier
ein Portrait zu Wanjiru |
Die Nächst-Schnellsten:
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Wann werden die Männer unter 2:00 Stunden laufen? Wann wird die Zweistundengrenze fallen? Keiner weiß es. Wanjiru meinte dazu, dass er selbst diese Zeit in den nächsten fünf Jahren knacken werde..... na ja, ich traue ihm einiges zu, aber unter 2.00 Stunden? Wo sollte der Sprung auch herkommen? Wo ist noch was (ohne Doping) rauszuholen? Geht das immer so weiter? Ein paar Gedanken von mir dazu: Im Vergleich zu früher sind die Schuhe besser geworden, die Ernährung und medizinische und physiotherapeutische Betreuung (ich sehe mal vom Doping ab) haben sich verbessert. Die Strecken werden begradigt, frisch geteert, es assistieren Tempomacher, die Flaschen werden von personalisierten Betreuern gereicht, Trainer oder Manager betreuen vom mitfahrenden Motorrad und durch die Kommerzialisierung wird nicht nur ein Profitraining möglich, sondern auch die Talentfindung und Selektion in Drittweltländern immer größer. Jeder leistungshungrige Afrikaner versucht sich heute am Laufen. Beispiel: 1985 war noch kein(!) Kenianer unter den Top 30 der Jahresweltbestenliste im Marathon, 2008 stellten sie 22 Läufer unter den 30 Schnellsten! Unter den Top 30 der ewigen Marathon Weltbestenliste ist keine Leistung älter als 1998! Nichts gegen die Leistungen von Nurmi und Zatopek, sie wurden unter teilweise viel schwierigeren Verhältnissen gelaufen, aber heute ist die Konkurrenz einfach sehr viel dichter und stärker geworden. Ihre Leistungen werden heute teilweise von den Frauen und talentierte Freizeitläufern übertroffen. Ich habe zur Weltrekordentwicklung die nachfolgende Grafik erstellt, danach würde der Weltrekord im Jahre 2032 unter die 2:00 Stundengrenze gedrückt. Voraussetzung: Der Trend geht genauso weiter wie bisher: Dargestellt ist die Weltjahresbestleistung (rote Punkte) und die jeweilige deutsche Jahresbestleistung (blaue Punkte) seit dem Jahre 1970, also der letzten 40 Jahre. Errechnete Trendlinien zeigen wohin es sich weiter entwickeln könnte. Den Vergleich zwischen dem jeweiligen Weltjahresschnellsten und dem schnellsten deutschen Mann konnte ich mir leider nicht verkneifen. Er zeigt, dass der Rückgang des Leistungsniveaus bei den deutschen Männern, die v.a. in den 80er Jahren nahe an der Weltspitze dran waren, nicht mit genetischen Ursachen zu erklären, sondern eher im soziologischen, motivativen oder trainingstechnischem Umfeld zu suchen sind. Die Leistungen der 80er und 90er Jahre im Bereich von 2:09 bis 2:11 Stunden müßten auch heute (bei all den angeblich so ausgefuchsten leistungsdiagnostischen Methoden, Nahrungsergänzungsmitteln und weiterem Schnick-Schnack vom Nasenpflaster bis hin zur Kompressionssocke) noch drin sein. Niemand verlangt natürlich von unserem Nachwuchs, dass man es mit Haile Gebrselassie aufnehmen kann. Mehr dazu hier. Ich wäre schon froh, wenn in Berlin ein Deutscher nach heroischer Schlacht als Sechster einliefe. Die Fachjournalisten wüßten das gebührend zu würdigen. Immerhin ist seit dem Tiefpunkt 2005 ein Aufwärtstrend zu verzeichnen. "Doping
ist Selbstbetrug" - Interview mit Haile Gebrselassie
in der FAZ 2006 |
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