Marathon
Zwischenbilanz 2008 - erste Olympia Vorschau
Wieder China Express in Peking?
(Mai 2008 /
zuletzt aktualisiert 7.7.2008)
aktuell: Olympia - Nachrichten, Vorschau,
Ergebnisse und Berichte
Die Weltbestenlisten im
Marathon 2008
(auf dem Stand 28.4.2008)
Noch nicht vergessen:
Chinaexpress Teil 1 bei der WM 1993, hier 1500m
Lauf. Die Chinesinnen schlagen im Dreierpack zu,
die Welt läuft hinterher. Der anschließende
Weltrekord aus Peking der Weltmeisterin Qu Yunxia
(137) steht mit 3:50,46 Minuten noch nach 15
Jahren. Fortsetzung unten...
(Foto, Copyright: Herbert Steffny)
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Die
großen Frühjahrsmarathons im olympischen Jahr
2008 sind bereits gelaufen. Zeit für eine
Zwischenbilanz der Saison 2008 und eine erste Vorschau
auf die Olympischen Marathonrennen der
Männer und Frauen. Seit dem Herbst 2007 steht
die Olympiaqualifikation für die meisten
Athleten im Vordergrund. Wer von den Favoriten
wirklich startet oder nominiert wird, ist aus
heutiger Sicht natürlich teilweise noch offen.
Kenia hat gerade sein Team nominiert, viele Stars
mußten dabei auf der Strecke bleiben, die dann
aber wieder bei den Herbstmarathons auftrumpfen
werden. Der Kreis möglicher Medaillenkandidaten
kristallisiert sich für Peking mittlerweile
heraus. Erfreulich ist, dass Irina
Mikitenko aus Deutschland als London Marathonsiegerin und der Schweizer Viktor
Röthlin mit seinem Erfolg in Tokio unter den Weltbesten auf dem 7. und 13. Platz in der
ersten Liga mitmischen können. Während der
erfahrene Viktor Röthlin viel von sich selbst
erwartet und mit dem Druck offenbar gut umgehen
kann, betritt die Wattenscheiderin bei dem
Olympiarennen in ihrem dann erst dritten Marathon
Meisterschaftsneuland. Im Stadionoval über
10.000 Meter scheiterte die frühere Kasachin und
zweifache Mutter zweimal denkbar knapp. In
Sevilla bei der Weltmeisterschaft 1999 schrammte
sie als Vierte an einer Medaille vorbei und bei
den Olympischen Spielen 2000 wurde die heute
35-Jährige Fünfte. Aber in Peking wird jede
Medaille nur über die Chinesinnen gehen.
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Weltbestenliste
Männer: Kenianer rücken Gebrselassie auf den
Pelz
Nach dem Boston Marathon und Hamburg Marathon
(Stand 28.4.2008) ist das Niveau der bei den
Männern gelaufenen Zeiten im Verhältnis zum
Weltrekord erheblich höher als bei den Frauen.
Hier lag in Dubai und London jeweils ein neuer Weltrekord in der
Luft und gleich vier Läufer plazierten sich
dabei unter die acht Schnellsten der ewigen Weltbestenliste. Bei den Männern sorgt
der US-Amerikaner Ryan Hall für
einen weiteren weißen Farbtupfer in der
ansonsten von Afrikanern stark dominierten
Männer Bestenliste 2008. Dem Überläufer Haile
Gebrselassie, der im Januar beim Dubai
Marathon leichtsinnig durch zu schnelles
Losrennen einen Weltrekord im Bereich von 2:03
vergab, rückt die kenianische Konkurrenz immer
näher auf den Pelz. London Sieger Martin Lel und
vor allem sein junger Landsmann Samuel Wanjiru
sind nicht nur weltrekordverdächtig, sondern
auch Medaillenkandidaten für Peking. 60 Männer
liefen bisher unter 2:10 Stunden, vernachlässigt
man die "Petrodollar-" und
"Exil-Kenianer"
(Mubarak Shami für Qatar und Simon Munyutu für
Frankreich) so sind darunter 37 Kenianer,
7 Japaner, 7 Äthiopier, 2 Eritraeer und 2
Marokkaner, nur 5 weitere verteilen sich auf
andere Nationen, darunter nur 3
"Weiße": Viktor Röthlin, Ryan Hall
und José Rios. Die Überlegenheit der Kenianer
in der Breite ist wie in den Vorjahren 2006 und 2007 beeindruckend, aber das
ist erst seit Mitte der 90er Jahren so. Zum
Vergleich: 1985 schaffte es noch kein
Läufer aus Kenia in die Top 30 der damaligen
Marathonweltbestenliste!
Mit
oder doch ohne Haile Gebrselassie?
Die Olympia
Favoriten sind wie immer beim Marathon
nie klar vorherzusagen. Dafür gibt es zuviele
Anwärter. Ausgesprochene Hitzeläufer unter den
voraussichtlichen Startern sind die drei WM
Medaillengewinner von Osaka Luke Kibet
(Weltmeister 2007, Hitzesieger in Wien 2006, für
Peking von Kenia aber nur als Reservemann
nominiert), Mubarak Shami
(Hitzesieger in Paris 2007) und auch Viktor
Röthlin, der in der Hitze sogar seine Chance
sieht. Weltrekordler und Jahresschnellster 2006
bis 2008 Haile Gebrselassie
dagegen taktiert vielleicht noch und kündigte
an, wegen der Smog-Gefahr in Peking nicht über
Marathon, sondern über 10.000 Meter starten zu
wollen. Er leide an Asthma. Über 10.000 Meter
hat er in Hengelo im Mai mit 26:51,20 Minuten als
Zweiter hinter Sileshi Sihine
(ETH) allerdings eine wirklich gute Figur
gemacht. Nebenbei: spielt Asthma auf 10.000 Meter
keine Rolle? Auf dieser Distanz hat er aber gegen
Landsmann Kenenisa Bekele keine
Chance auf Gold. Mit einem Marathonverzicht
vergäbe der kleine Äthiopier seine letzte
Chance Olympiasieger im Marathonlauf zu werden
und nicht nur seinem Vorbild Abebe Bikila
(Olympiasieger jeweils mit Weltrekord 1960 und
1964) nachzueifern, sondern vielleicht dann aus
meiner Sicht der größte
Langstreckenläufer aller Zeiten zu
werden. Zur Not wäre er in Peking als Zuschauer
dabei, ließ der 35-Jährige verlauten. Damit
steigen allerdings die Chancen, dass er zu einem
erneuten Angriff auf den Weltrekord in Berlin antritt. (Nachtrag: am
7.7.2008 hat Haile für Berlin 2008 zugesagt).
Kenia hat
dagegen ein Luxusproblem, denn es
bleiben zahlreiche Topstars zuhause. Mit den
nominierten Martin Lel, Samuel Wanjiru
und dem vierfachen Boston und World Majors
Marathon Sieger Robert K. Cheruiyot
hat Kenia allerdings drei Super-Asse im Ärmel.
Einen Olympiasieger aus Kenia gab es im
Marathonlauf aber noch nie. Äthiopien stellte
dagegen mit Abebe Bikila (1960, 1964), Mamo Wolde
(1968) und Gezaghne Abera (2000) schon vier
Goldmedaillen Gewinner. Wenn es doch nicht so
heiß wird, ist Martin Lel der härteste Spurter, Samuel Wanjiru und Haile
Gebrselassie wären die härtesten Tempoläufer.
Olympische Spiele gehorchen aber anderen
taktischen Gesetzen als Temporennen bei
Citymarathons. Das weiß Viktor Röthlin und auch
die Sphinx unter den Marathonläufern
Stefano Baldini. Der Italiener ist
immerhin Titelverteidiger und ein Spezialist auf
den Punkt bei Meisterschaften fit zu sein. Neben
Olympiagold 2004 sind zwei Europameistertitel
(1998 und 2006) und zweimal WM Bronze (2001 und
2002) in der umfassenden Sammlung von Baldini. Es
wäre voreilig den in Peking dann aber auch schon
37-Jährigen nicht auf der Rechnung zu haben.
Allerdings hat ihn ein nach dem London Marathon diagnostizierter
Ermüdungsbruch erst einmal zurückgeworfen.
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Viktor Röthlin - Der
weiße Schatten der Afrikaner hat in Peking eine
realistische Medaillenchance
(Foto, Copyright: Herbert Steffny)
Haile gibt sich bedeckt. Pokert der
Weltrekordler nur oder vergibt er
die Chance auf den Olympiasieg?
(Foto, Copyright: Herbert Steffny)
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Irina Mikitenko -
einsame Spitze in Deutschland mit Aussenseiter
Chance.
(Foto, Copyright: Herbert Steffny)
WM 1993 Chinaexpress Teil
2:
...diesmal "nur" WM Gold und Silber
über 10.000m. Die anschließend in Peking von
Wang Xunxia (140) über 10.000m und 3000m
aufgestellten Weltrekorde in 29:31,78 und 8:06:11
Minuten stehen ebenfalls noch nach 15 Jahren!
(Foto, Copyright: Herbert Steffny)
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Weltbestenliste Frauen:
Äthiopierinnen auf dem Vormarsch Von den schnellen Zeiten
der Männer sind die Frauen in diesem Jahr noch
weit entfernt. Die bisherige Jahresweltbestzeit
von 2:22:38 der Chinesin Zhang Yingying
von Xiamen im Januar reicht nur für Platz 27 der
ewigen Weltbestenliste. Der Vormarsch der
Äthiopierinnen setzt sich dagegen
weiter fort. Vier der Top-Zehn Platzierungen
gehen auf ihr Konto, die schnellste Kenianerin
ist dagegen erst auf Platz 13 zu finden. Aber
auch die Chinesinnen sind mit
zwei Vorderplätzen und der Jahresschnellsten Yingying
Zhang ganz stark vertreten. Die sonst so
erfolgreichen Japanerinnen spielen 2008 noch
nicht ganz die Rolle wie in den Vorjahren.
Immerhin liefen aber 9 Töchter Nippons von 38
Frauen bereits unter 2:28 Stunden. Die anderen
Nationen sind mit 8 Kenianerinnen, 7
Äthiopierinnen, 5 Chinesinnen, 5 Russinen, 3
Rumäninnen und nur 3 aus 3 weiteren Ländern
vertreten.
Mit
dem China-Express auf's Treppchen?
Die Chinesinnen
sind für mich in Peking mit Heimvorteil
ausgestattet und dadurch alleine schon die klaren
Medaillenanwärterinnen. Die Konkurrentinnen
müssen mit allem rechnen, auch mit einem
unerwartend stark und überfallartig an ihnen
vorbeirauschenden Chinaexpress wie
anno 1993 bei den Weltmeisterschaften in
Stuttgart über alle Mittel- und Langstrecken.
Unvergessen ist wie die Truppe des Trainers Ma
Junren damals zuschlug. Nach ein wenig
warmlaufen mit dem Rest der Welt zündete wie auf
Kommando der Turbolader. Ich saß selbst im
Stadion (siehe Fotos). Wir schauten und
fassungslos an, der Applaus des sehr fachkundigen
Publikums war sehr verhalten, es gab nicht wenige
Pfiffe. Es soll die chinesische Disziplin, der
Talentpool, Schildkrötenblut und Kräutermedizin
gewesen sein, so die Chinafreunde. Seltsam, dass
diese Trainingsgruppe erst unglaubliche Sprünge
nach vorne machte, ihre Rekorde v.a. in China
aufstellte und mit Doping Mutmassungen
konfrontiert genauso schnell verschwand wie sie
kam. Und warum tat sich bei den Männern dann
nichts dergleichen? Was haben Chinas Frauen was
Männer nicht haben? Wirkt Schildkrötenblut bei
Ihnen anders? Immerhin, es ist schon fast
vergessen, über 10.000 Meter stellten sie 2004
mit Xing Huina die letzte Olympiasiegerin über 10.000 Meter.
Erneutes
Drama um Paula Radcliffe?
Die
verletzungsbedingt in diesem Frühjahr beim London Marathon nicht startende
Weltrekordlerin und New York Siegerin 2007 Paula Radcliffe
war noch nie eine gute Hitzeläuferin und wird
bei Wärme in Peking wieder vorzeitig ein Debakel
wie in Athen erleben. Zudem stellte sich ihre
Hüftverletzung nun als eine Stressfraktur im
Oberschenkel heraus, ihr Start wird
unwahrscheinlicher. Die Japanerinnen sind meist
wärmeerprobt und gewannen bisher die meisten Medaillen bei
Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Sie stellten mit Naoko
Takahashi und Mizuko Noguchi
die beiden letzten Olympiasiegerinnen. Ihnen ist
in der olympischen Hitze neben den Chinesinnen
und vielleicht auch den Äthiopierinnen am
meisten zuzutrauen. Auch eine Russin könnte mit
Berechtigung die Finger nach Metall ausstrecken.
"Katharina die Große", die Kenianerin Catherine
Ndereba, zweifache Weltmeisterin 2003
und 2007, Vizeweltmeisterin 2005 und
Olympiazweite 2004, wurde noch einmal zusammen
mit der Parissiegerin Martha Komu
und Salina Kosgei nominiert. Sie
ist eine ausgesprochene Meisterschaftsläuferin
wie Stefano Baldini bei den Männern, aber
vielleicht hat sie ihre besten Jahre bereits
hinter sich. Wird es doch nicht so heiß, dann
sehe ich folgenden Ausgang kommen: Paula
Radcliffe macht, falls sie startet, Tempo wie
gewohnt und eine Chinesin schnappt ihr dennoch
kurz vor dem Ziel die Goldmedaille weg. Die bei
Meisterschafts-Marathonrennen noch vollkommen
unerfahrene Deutsche Irina Mikitenko
hat als Aussenseiterin und eiserne Kämpferin
keine Favoritenlast, aber eine realistische
Chance für einen Podiumsplatz. In London hat die Fighterin bereits eine
deutliche Marke gesetzt.
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